Theodor Reuss Ordo Templi Orientis Unterweisung im Meistergrad (K.B.L.) 1921
Ordo Templi Orientis
Theodor Reuss Unterweisung im Meistergrad (K.B.L.)
Instruction circa 1921
[Ed.: Translation needs written permission.
After Aleister Crowley was expelled from the O.T.O., the rituals
were completely purged of any thelemic references.]
Ursprünglich bestand innerhalb der Johannisfreimaurerei nur ein Grad
mit einem Akt feierlicher Aufnahme. Den Lehrlings-, Gesellen-,
Meistergrad gab es nur im Sinne der Werkmaurerei. Meister konnte nur
werden, der sieben Jahre gedient, die Meisterprobe bestanden und die
Mittel besass, sich an einem Orte als Maurer niederzulassen. In der
Genossenschaft galt er jedoch nicht mehr und nicht weniger als als
derjenige, welcher nicht Werkmeister war. Auf diese Gepflogenheit ist
wohl jene der Maestri Comacini zurückzuführen, welche innerhalb ihrer,
vom 8. bis 12. Jahrhundert um den Comosee herum, im Schweizer Kanton
Tessin wirkenden Gemeinschaft, alle Handwerker ohne Unterschied
"Meister" nannten. Als ein schönes Beispiel maurerischer Demut wird da
ein als Bildhauer zum Künstler gewordener Meister hervorgehoben,
welcher sich einfach "Steinmetz" unterschrieb. Mit der Aufnahme
gebildeter, und den höheren Kreisen angehörigen Personen in die
Brüderschaft scheint allmählich eine gewisse Sichtung nötig geworden zu
sein und der Meistergrad, ebenso wie der Lehrlings- und Gesellengrad
wurden Produkte der Humanitätsmaurerei nach Gründung der Grossloge von
England. Der dritte oder Meistergrad wurde in den Jahren 1723-25, durch
Anderson und Desagulier in die Johannismaurerei eingeführt. Man brachte
in ihm die Versinnbildlichung des Unsterblichkeitsgedankens in einer
dramatischen Form zur Darstellung, indem man an den Salomonischen
Tempelbau anknüpfte, und dem Meistergrad die Legende von Hiram zum
wesentlichen Inhalt gab.
Gegenwärtig wird der Meistergrad in allen Systemen als die dritte, die
Johannismaurerei abschliessende Stufe verglichen. Systeme ohne
Hochgrade müssen also diese Stufe als die umfassendste in der Maurerei
betrachten. Für die erweiterte, und insbesondere für die mystische
Freimaurerei bildet der Meistergrad jedoch erst den Ausgangspunkt für
höhere Grade. Würdig schliesst er sich aber den beiden Vorangegangenen,
dem Lehrlings- und Gesellengrad an, indem sich vort dem Erwählten des
Bundes ein Gesamtbild der ganzen Lehre entrollt, welches nun, gleichsam
eine Trinität oder Dreiheit zu einer Sache des Geistes, Herzens und
Lebens wurde oder, mit anderen Worten, in das gesamte Denken und
Fühlen und Wollen des Freimaurereis übergehen muss, um zu einer Sache
des ganzen Menschen zu werden.
Der Meister, welcher innerhalb des Lehrlings- und Gesellengrades
Gelegenheit hatte, erst Erkenntnis zu erlangen, dann sie zu üben, fühlt
sich in diesem Grade erst als ein Gleicher unter Gleichen. Wenn man ihn
fragt: "Sind Sie ein Freimaurer-Meister?", so antwortet er: "Dafür
werde ich unter Meistern gehalten". Sie allein haben vorausgesetzter
Weise jenes richtige Urteil erlangt, welches ermöglicht, einen anderen
Meister als solchen zu erkennen und zu achten. Diese seine Antwort soll
jedoch keinen Stolz ausdrücken, sondern vielmehr eine gewisse, eingangs
schon erwähnte "Demut", verbunden mit edlem Selbstgefühl. Denn niemals
darf der Freimaurer vergessen, dass wir Menschen vor dem A.B.a.W. alle
eines Ursprungs sind.
Durch die Symbolik der vorangegangenen Grade gereift, tritt als
wesentliches Symbol nur noch an den Kandidaten heran: Das Reissbrett.
Auf ihm sind mit dem Masstab der Wahrheit, dem Winkelmass des Rechtes
und dem Zirkel der Pflicht gleichsam die Entwürfe zur Lebensführung zu
machen. Der Lehrling bearbeitet den rohen, der Geselle den kubischen
Stein, der Meister arbeitet am Reissbrett.
Unter dem Masstab der Wahrheit ist offenbar die Bibel als das Sinnbild
der göttlichen oder höchsten Wahrheit gemeint. Eng knüpft sich daran
auch die Art, wie diese drei Sinnbilder in den drei Graden liegen.
Winkelmass und Zirkel auf der Bibel. Im ersten Grad werden die beiden
Spitzen des Zirkels vom Winkelmass nicht bedeckt, denn die Pflicht des
Lehrlings ist nur seinem verschlossenen Innern zugewandt, das zwischen
Glauben und Recht die freimaurerische Weihe erhalten soll. Im zweiten
Grad ist noch eine Spitze des Zirkels vom Winkelmass überdeckt, denn
der Geselle tritt mit der Pflicht der Wirksamkeit nach aussen aus sich
heraus, wiewohl sein innerer Mensch noch sorgsamer Beobachtung bedarf.
Erst im Meistergrad sind beide Spitzen bedeckt. Alle drei Sinnbilder
liegen nun gleichmässig übereinander, zum Zeichen, dass Gott und die
Menschheit den Lebenswandel des Bruder Meisters einzuschliessen und,
dass er sein Handeln nach diesen beiden Richtungen zu erstrecken habe.
Eine Eigenschaft, die zu üben dem Meister ganz besonders ans Herz
gelegt wird, ist die Reinheit des Herzens. Nicht eine reine
Verstandessache ist die Maurerei; sie wendet sich vorzugsweise an das
Gemüt. Wahrheit in Worten! Wie Dein Inneres, sei auch das Aeussere!
Kein Falsch drücke sich aus in dem, was wir denken und sagen, sondern
wie wir es meinen, soll es über unsere Lippen gehen. Nach Wahrheit
strebt der Maurer, ihr ist sein Altar geweiht! Vorsicht in Handlungen!
Ueberlegenheit und Entschlossenheit müssen ihm immer zur Seite stehen.
Dann wird er auch Unerschrockenheit bei unvermeidlichen Uebeln
bewahren. Er lernt sie als Schickungen und Prüfungen des höchsten
Meisters zu erkennen, sich in sie fügen und bleibt, was man so oft
nennen hört: Meister der Situation.
Der zeremonielle Teil des Meistergrades ist hauptsächlich
gekennzeichnet durch: Die drei Meisterzeichen, die fünf Punkte der
Meisterschaft, die drei Meisterschritte, das Meisterwort, den
Meisterschlag, durch Zeichen, Griff und Wort und durch das Passwort.
Der Zeichen gibt es drei: Das gewöhnliche Meisterzeichen, welches auch
als Stomachal - oder Rauchzeichen sich auf die Verpflichtung des
Meisters bezieht. Das "Erstaunungszeichen" steht im Zusammenhang mit
der Geschichte von Hirams Tod und wird nur während ihrer dramatischen
Darstellung gemacht. Und das Arons-Hilfszeichen oder der Rettungsruf:
"Zu Hilfe ihr Kinder der Witwe" (weil Hiram der Sohn einer Witwe aus
dem Stamme Naphtali war). (1. König 7, 13 und 14.) Dieses Zeichen wird
nur in grosses Gefahr gebraucht.
Die fünf Punkte der Meisterschaft oder die Worte: Hand in Hand, Fuss
gegen Fuss, Knie gegen Knie, Brust gegen Brust und den linken Arm um
den Nacken des Bruders geschlungen deuten an: Freundschaft und
Einigkeit, denn wir stehen auf einem Boden und gehen einen Weg:
Bereitwilligkeit, meinem Bruder zu Hilfe zu eilen, den guten Willen,
Gnade für ihn zu erbitten, Aufrichtigkeit und Mitgefühl, die Sorge, dem
Falle unseres Bruders zuvorzukommen, ihn zu heben, dass er stehe und
nicht wanke, uns einander gegenseitig das Herz offen zu halten und
schliesslich, einander womöglich herzlich zu lieben.
Weder Jakin noch Boas konnten den erschlagenen, aber nur scheinbar
toten Meister aufrichten; der vollkommene Meistergriff jedoch vermochte
es. Es ist "der heilige Grund" des Salominischen Tempels, auf dem die
Meister den Bau echter Humanität errichten sollen und wollen.
Die drei Meisterschritte deuten auf Geburt - Leben - Tod. Der erste
Schritt über den Sarg soll den Meister erinnern, dass er wohl von der
Erde stammt und derselben als Körper wieder zurückgegeben werden muss,
dass aber ein Atem göttlichen Geistes durch seine lebende Seele weht,
die bestimmt ist, sich auf dem Pfade der Tugend zu dem himmlischen
Lichte emporzuschwingen. Der zweite Schritt über den Sarg gemahnt
daran, dass das rechte Leben des Menschen nicht dem eigenen "Ich" gilt,
sich vielmehr in voller Kraft dem Wohle der Menschheit zuwenden soll.
Dieser Pflicht der Wirksamkeit für Menschenwohl und Glück bringt er
seine leibliche Existenz sogar zum Opfer.
Indem der Aspirant nun den dritten Schritt über den Sarg tut, wendet er
sich gegen Osten, vor dem er stehen bleibt, wie vor dem Bilde des
Todes, aber nicht der Vernichtung, sondern des Lebens. Das leibliche
Leben lassen wir, um das geistige zu empfangen. Ueber Sarg und Grab
hinweg vermögen wir das helle Licht im ewigen Osten zu schauen.
Die ältste Form des Meisterwortes war: "Mahabone, dessen einzig-wahre
Deutung O.T.O. gibt: "Fast bis auf den Knochen verfault". Man
leitet es teilweise aus dem irischen "Mak" oder "Sohn" und "Bon" oder
"tot" ab. Es scheint hier eine Verquickung verschieden sprachlicher
Abstammung aus dem Irischen, Schottischen, Arabischen und Hebräischen
vorzuliegen. "Bone" deutet auf das englische "bone" oder Knochen hin.
Mak-Benag soll aus dem Schottischen stammen und bedeutet "Sohn der
Witwe". Jedenfalls bezieht sich der Anruf: "Mahabon, Du lebst im Sohn"
bei der Erzählung der Legende des Hiram auf den im Fleische wohl
sterbenden Menschen. Und sehr wahrscheinlich bedeuten die aus
verschiedenen Gebräuchen in verschiedenen Ländern auf uns übernommenen
Worte: "Mahabon" und "Mak-Benag" dem Ursinn des Meistergrades
entsprechend: "Der Tod ist das Ende des Fleisches, die Seele aber wird
ewig bestehen".
Mit den drei Meisterschlägen kommen wir direkt an die Legende vom Tode
des Hiram, die verschieden berichten, wohl nicht mit Unrecht als
Legende zu betrachten sind. Immerhin liegt ein tiefer mystischer Sinn
in dieser Allegorie, welche in der unverbrüchlichen Treue der
maurerischen Pflichtgelöbnisse, sowie in der Unsterblichkeit der
menschlichen Seele wurzelt. Sie liefert also in diesen zwei Momenten
einen Hinweis auf das Ziel und die Möglichkeit der Vervollkommnung des
Menschen. Zugleich enthält sie eine Warnung vor Habsucht und Eigennutz
im Beispiel der den Hiram überfallenden Gesellen.
Hiermit wäre die engere Begründung des Meistergrades, so wie der drei
vorhergehenden Grade zum Abschluss gebracht. Es erübrigt nun noch,
einen kurzen Blick zu werfen auf die Einteilung der Brüderschaft in:
Lehrlinge, Gesellen und Meister. Das historische Bestehen dieser
Einteilung seit bald 2000 Jahren trägt in sich schon eine durch die
Zeit geheiligte Berechtigung, indem die Sinnbilder und Gebräuche der
Freimaurer sich den Erfordernissen jedes Bildungsgrades und jeder Zeit
anpassen und dadurch den Wert eines Gewordenen in sich bergen. Denn sie
ruhen auf einem Boden, der in Bild und Sinn eine unmittelbare
Verwandtschaft mit dem Weltall, also mit der höchsten und untilgbarsten
Idee der Menschheit hat.
Der erste oder Lehrlingsgrad ruft gewissermassen unsere Persönlichkeit
wach zu dem "Ich bin": wir haben nun zu denken,lernen durch
Selbsterkenntnis den edlen Teil unseres Wesens zu entfalten. Erst wenn
wir besser sind, kann es besser werden.
Der Gesellengrad stellt den Bruder an die Säule der Schönheit. Nicht,
dass wir wissen, was schön ist, gibt uns Schönheit, die Schönheit des
Empfindens oder Fühlens muss eine tatsächliche Eigenschaft sein.
Der Meistergrad findet den Bruder an der Säule der Stärke. Nicht nur an
sich, nicht bloss mit anderen, sondern auch für andere soll er
arbeiten, denn das ist seine Pflicht als Glied der menschlichen
Gesellschaft. Wer mehr von sich als für sich fordert, der gelangt zur
Selbstveredelung. Jedoch nicht auf einmal, nur nach und nach können wir
die Stufen dazu ersteigen. Die Stärke und Macht unseres Bundes liegt
gerade in seiner der allmählichen Bereitung des Einzelnen geltenden
Wirksamkeit, Insbesondere in der durch die "Hermetischen Brüder des
Lichts" des orientalischen Templerordens erweiterten Lehre zielt
diese Wirksamkeit dahin, alle persönlichen Unterschiede in
politisch-nationaler wie kirchlich-dogmatischer Richtung von der
mystischen Freimaurerei fern zu halten, denn ihr wesentlichstes und
heiligstes, durch stufenweisen Fortschritt und Erhöhung zu erreichendes
Ziel ist: Wirkliche Verbrüderung der Menschen auf Erden.
Die mauererische Belehrung über das Wesen und die Symbolik sind ebenso
nötig, als deren Zurückhaltung oder gar Nichtachtung ein Vergehen ist,
das sich unausbleiblich rächt. Geläuterte und schliess konkrete
Begriffe von dem Wesen der Freimaurerei und der Symbolik werden dem
Bunde helfen, seine Aufgabe immer besser zu erfüllen. Dann kann es
nicht fehlen, dass die segensreiche Einwirkung der Freimaurerei durch
jeden Einzelnen, sowie durch alle Arbeiter am Bau auf die Entwicklung
des Menschengeschlechtes immer mächtiger werde.
Mögen die Erläuterungen unserer Sinnbilder wenigstens einen kleinen
Stein zu einem so gewaltigen Bau hinzutragen!
Schluss.