Dr. CARL KELLNER - eine persönliche BetrachtungSigrid PlutzarIn vielen Familien ist es üblich, sich für Familiengeschichte zu interessieren, wo sind die Wurzeln, was weiß man von seinen Vorfahren. Auch bei uns zu Hause war das so. Ich bin eine Tochter des ältesten Enkel von Dr. Carl Kellner, also seine Urenkelin.Natürlich wurde in meinem Elternhaus über Dr. Kellner gesprochen, mein Vater war sehr stolz auf seinen Großvater und hat ihn sehr bewundert, seine Genialität, seine Erfindungen, sein soziales Engagement und den Familienmenschen. Mein Vater hat auch gerne 1977 und danach die Bayrische Akademie der Wissenschaften mit Material und Dokumenten unterstützt, um das Leben und Werk Dr. Kellners in der Neuen Deutschen Biographie herauszubringen. Das alles ist mir gut bekannt, von der "anderen Seite" meines Urgroßvaters wußte ich nichts. Man wird nun vielleicht verstehen können, wie sehr mich ein Artikel, den ich wirklich zufällig las, nämlich "Krampus und die Postmoderne", erschienen in der Beilage der AZ "Thema", 2.12.1988 in Wien, schockierte. In diesem Artikel von Manfred Marschalek geht es um das Satanismusbuch von Josef Dvorak und plötzlich fand ich heraus (und auch Josef Dvorak, wie Herr Marschalek festhält): "... daß auch der moderne Satanismus in Wien der Jahrhundertwende begonnen hat, daß der Wiener Chemiker und Zellulose Fabrikant Dr. Carl Kellner 1901 den "Ordo Templi Orientis"(OTO) gegründet hat und im Kultraum seiner Döblinger Villa sexualmagische Riten, die sich bald zum veritablen Satanskult entwickelten, zelebriert hat. Nach Kellners vorzeitigem Tod durch ein selbstgemixtes Lebenselexier setzten - vorübergehend - Rudolf Steiner, Schweizer Monte-Verità-Bewohner und der britische Satans-Poet Aleister Crowley den Orden fort ..." Aufgrund dieses Artikels habe ich begonnen, mich mit der "anderen Seite" meines Urgroßvaters auseinanderzusetzen. Ich habe zunächst den Nachlaß meines Vaters (gest. 1983) gesichtet, die Dokumente, den Briefwechsel, Unterlagen der beruflichen Tätigkeit Dr. Kellners geordnet [soon at this URL]. Ich begann Kontakte aufzunehmen, habe Bücher gekauft und gelesen (Möller, Frick etc.) und auf diese Art und Weise versucht, mich mit der mir vollkommen fremden Materie vertraut zu machen. Ich war in Hallein, besuchte die Fabrik und die "Rote Villa" und war selbstverständlich beim Grab meines Urgroßvaters. Ich habe all die Jahre mit Interesse verfolgt, was über Dr. Kellner in der verschiedensten Form verbreitet wurde, habe mich dazu nie geäußert, will aber jetzt meinen Standpunkt klarlegen. Ich bekam den Eindruck, daß zunächst jeder, der sich mit dem OTO bzw. der Person Kellners auseinandersetzte, unpräzise Formulierungen wie - "anscheinend", "wahrscheinlich", "soll" (Frick, Licht und Finsternis II, S461) - verwendet. Solche und ähnliche spekulativen Ausdrucksweisen wurden immer dann gerne herangezogen, um Dr. Kellner je nach eigenen Interessen, Gutdünken und Vorlieben zu ettiketieren. Somit wird mein Urgroßvater jeweils zum "Ahnherren" für Sexualmagie und Satanismus, "Goldmacher" und "Magier", wie es gerade gefällt. Dann kommt noch "oral history" und ein "G'schichterl" (wie man bei uns in Wien sagt) dazu und es bleibt alles wieder unbewiesen und ohne Hand und Fuß. Prof. Möller schreibt in seinem Buch "Merlin Peregrinus" betreffend Kellners Indienreise (S 140): "... Leider bleibt er (John Symonds) jeden Beleg für diese Story schuldig, die nur die Sagenbildung um den weitgereisten Fabrikanten Kellner - der jedoch, soweit bekannt, nicht in Indien war - fortspinnt, die schon bald nach seinem Tod einsetzte ...". Grotesk erscheinen mir die Schilderungen von der Verfluchung Kellner's 1903 (!) in Hallein und den Umständen seines Todes. Diese "G'schichterln" beruhen ausschließlich auf den Erzählungen seiner Witwe, 1949 verstorben, die letztlich nicht beweisbar sind und daher zur Sagenbildung beitragen. Im Jänner 1999 hat Herr Peter-R. König mir das "Flensburger Heft" Nr. 63 "Feldzug gegen Rudolf Steiner" gesendet und mich um Ergänzungen und Kommentare zu Dr. Kellner und dem OTO gebeten. Ich schließe mich vollkommen der Meinung von Herrn König (der sicher als der internationale OTO-Experte gilt und sich mit diesem Thema wissenschaftlich und seriös auseinandersetzte) an, daß Dr. Kellner mit der Entwicklung, die der OTO nach seinem Tod unter Reuß nahm, absolut nichts zu tun hatte. Man sollte sehr wohl beginnen, von Überlieferten abzuweichen, man sollte endlich erkennen, daß all das Überlieferte auf mehr als wackeligen Beinen steht und sollte dazu übergehen, ausschließlich Fakten sprechen zu lassen. Was nicht bewiesen ist, hat in ernstzunehmenden Artikeln und Büchern nichts zu suchen. v Mein Urgroßvater war ein genialer Mann, seiner Zeit weit voraus, großzügig und vorallem ein liebevoller Ehemann und Vater. Es irritiert mich, daß in der Öffentlichkeit ein Bild entsteht, daß diesem sicherlich außergewöhnlichen Menschen nicht gerecht wird. Sollte meine Einschätzung nicht den Tatsachen entsprechen, bin ich gerne bereit, das Bild meines Urgroßvaters zu korrigieren, vorausgesetzt es werden mir diesbezügliche Beweise vorgelegt. Sigrid Plutzar, Wien (Adresse ist Herrn König bekannt) Wien, März 1999 English version: Dr. Carl Kellner — A Personal Reflection Back to the main page about Carl Kellner O.T.O. Phenomenon navigation page | main page | mail
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