Carl Kellner und Theodor Reuss: Von den Geheimnissen der okkulten
Hochgrade unseres Ordens.Historische Ausgabe der Oriflamme 1904 Berlin Ein Manifesto des
Gross-Orientes. Berlin, A.D. 1904
Eines der Geheimnisse, die unser Orden in seinem höchsten Grade
besitzt, besteht darin, dass er dem gehörig vorbereiteten Br. die
praktischen Mittel liefert, den wahren Tempel Salomos im Menschen
aufzurichten, das "verlorene Wort" wiederzufinden, das heisst, dass
unser Orden dem Eingeweihten und auserwählten Br. die praktischen
Mittel liefert, die ihn in den Stand setzen, sich schon in diesem
irdischen Leben Beweise seiner Unsterblichkeit zu verschaffen.
Diese praktischen Mittel sind aber keine "Geisterbeschwörungen" oder
andere "spiritistische Praktiken", sondern es sind Mittel, die sich nur
mit den inneren Stimme und mit den inneren Sinnen des Kandidaten selbst
beschäftigen und die alle spiritistischen Praktuken direkt und
strengstens ausschliessen und verdammen.
Dieses Geheimnis ist eines der wahren maur.·. Geheimnisse und eben
ausschliesslich das Geheimnis der okkulten Hochgrade unseres Ordens. Es
ist auf unseren Orden durch mündliche Ueberlieferung von den Vätern
aller wahren Frmrei. den "weisen Männern des Ostens" überkommen und
wird auch von uns nur wieder mündlich weitergegeben. Selbstverständlich
hängt aber der Erfolg dieses praktischen Unterrichts zur Erlangung
dieses Geheimnisses wiederum ganz vom Kandidaten selbst ab.
Denn was nützt es, einem Schüler, der schwimmen lernen will, die
besten, erprobtesten und ausführlichsten Anleitungen zum Schwimmen zu
geben, wenn er, einmal ins Wasser gelegt, nicht selbst Hände und Füsse
bewegt. Oder was nützt es, einem Malschüler die umfangreichste
Anleitung zum Malen zu geben und ihm die feurigsten Farbentöne
vorzumalen; wenn er nicht selbst den Pinsel in die Hand nimmt und
selbst die Mischung der Farben zu erzielen sucht, wird er nie ein
Künstler werden.
Diejenigen Brr., welche nun dieses Geheimnis gefunden hatten, bewahrten
es als ein köstliches, selbsterrungenes Eigentum, und um von den
Alttagsmenschen nicht verkannt oder gar verspottet zu werden, verbargen
sie es unter Symbolen, so, wie wir das heute noch tun.
Diese Symbole sind nun keine willkürlich gewählten Bilder und beruhen
nicht auf irgend einem Zufall, sondern sie sind begründet in den
Eigenschaften Gottes und des Menschen, und wir müssen sie als Urbilder
betrachten. Wir werden aber nie die Form, das Gefäss, das Ritual, die
Symbole für den Inhalt nehmen, sondern in der Form den geistigen Inhalt
suchen, und nachdem wir denselben gefunden und in uns aufgenommen
haben, aus dem geistigen Inhalt die absolute Notwendigkeit der Form,
des Rituals, der Symbolik erkennen.
Unsere Hochgrade geben daher dem Br. die Möglichkeit, einen sicheren
Berweis für die Unsterblichkeit des Menschen zu erlangen, das ist und
war die grosse Sehnsucht, seitdem denkende Menschen existieren. Der
Mensch bedarf dieser Ueberzeugung von seinem Fortleben nach dem Tode, um
in diesem Leben wahrhaft glücklich sein zu können. Es haben daher auch
die Mysterien aller Religionen und Weisheitsschulen sich mit dieser
Frage als ihrer höchsten und vornehmsten Aufgabe beschäftigt. Das
Kirchentum beschäftigt sich naturgemäss auch mit der Lösung dieser
Frage "vom verlorenen Wort"", i.e. dem "verlorenen ewigen Leben", sie
verweist den Suchenden aber immer auf den Weg der Gnade und stellt es
stets als ein Geschenk und nicht als etwas Selbstzuerwerbendes oder
Erworbenes hin. Unser Orden stellt es jedoch in die Möglichkeit eines
jeden einzelnen Suchenden, mittelst praktischer Mittel sich mit dem
Weltbewusstsein, der Ur-Schöpferkraft, bewusst und selbst gewollt schon
in diesem Leben zu vereinen.
Kellner / Reuss
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