Musik: The Ray Conniff Singers
Die folgende Darstellung gehört zu einer Reihe von Versuchen, die neuere Geschichte der Fraternitas Saturni nicht als heroische Logenchronik, sondern als Geflecht aus konkurrierenden Deutungen, verletzten Loyalitäten und Nachfolge-Erzählungen zu lesen. Im Zentrum steht die Frage, wer in dieser saturnischen Mikro-Landschaft mit welchem Recht "Autorität" beanspruchen darf — und mit welchen Mitteln dieser Anspruch bestritten wird: mit Logengesetzen und Graden, mit Vereinsrecht und Vereinsregistern, mit Räumen, Geräten und Geldflüssen, vor allem aber mit Geschichten.
Als roter Faden dient die autobiographische Selbstinszenierung Johannes Maikowskis. Über Jahre hinweg begegnete er mir in zahlreichen Emails und in einem Video-Interview als sympathischer, ausgesprochen unterhaltsamer älterer Herr mit starkem inneren religiösen Drang — und einer Fremdenlegionärs-Krawatte.
Prominent in dieser Erzählung ist die Szene des 23.12.1963, in der Eugen Grosche den knieenden Maikowski mit Handauflegung zum "Nachfolger als Grossmeister der Fraternitas Saturni" weiht. Oder geweiht haben soll. Maikowski erzählt diese Szene mit Detailverliebtheit und weihnachtlicher Ekstase. Das wirkt literarisch durchkomponiert und erinnerungspolitisch inszeniert. Man erkennt eher Legende und Mystifizierung als ein nüchternes Protokoll. Genau so wird sakrale Autorität nachträglich überhöht und gegen spätere Konkurrenzbehauptungen abgeschirmt.
Maikowskis Überzeugungskraft hängt stark vom Wohlwollen seiner jeweiligen Zuhörer und Leser ab — wer sich auf seine idiosynkratische Erzähl- und Deutungsweise nicht einlässt, reagiert schnell irritiert oder ablehnend.
Die Episode um die "Kopiermaschine 1963", mit der dieser Bericht einsetzt, ist keine Randanekdote. Sie ist ein Brennglas. Sie zeigt käuflichen Status und die Ökonomisierung des Systems. Sie legt strukturelle Unklarheiten frei (wer ist "Grossloge", wem gehört das Gerät, wer darf im Namen der F.S. handeln?). Sie fungiert als Katalysator für Misstrauen zwischen Karl Wedler, Maikowski und Grosche. Wie wird aus Besitzstreit Autorität? In diesem kleinen technischen Objekt — einer Abzugsmaschine — bündeln sich Fragen nach Zuständigkeit, Geld, Rang und Loyalität, die später in den pluralen Nachfolge- und Splitterlogenkonstellationen der 1980er bis 2000er Jahre wiederkehren.
Misstrauische Archivare, umdeutbare Geldströme, vage Kompetenzabgrenzungen begegnen uns bei Stanislaus W. Wicha und Guido Wolther wieder. Bestimmte Episoden — Johannes Göggelmann, Walter Jantschik und Guido Wolther — werden auf eigenen Seiten ausführlicher behandelt.
Innerhalb des Artikels streife ich verschiedene Themen nur kurz, nicht wirklich durchbuchstabiert. Für den komplexen Kontext zur Fraternitas Saturni und den einzelnen inneren Geschehnissen sei auf den O.T.O. Phänomen RELOAD hingewiesen.
Die bewusst knappe Belegführung in diesem Aufsatz ist das Ergebnis editorischer Platz- und Darstellungsentscheide. Die Briefe, Rundschreiben und Protokolle, auf denen die Darstellung beruht, werden im Fliesstext zitiert; aus Platz- und Layoutgründen erscheinen sie hier nicht als Abbildungen. Sämtliche herangezogenen Dokumente sind jedoch ausserhalb des Aufsatzes in meinen drei F.S.-Büchern als Faksimile zugänglich und sollen so die reduzierte Wiedergabe im Fliesstext kompensieren:
Die Bilder sind bewusst AI-generierte oder AI-kolorierte Allegorien. Sie beanspruchen nicht, "authentische" Abbilder der Situationen zu sein. Sie sollen ironisch verfremden und die Konstruktion der Nachfolge-Legende sichtbar machen und daran erinnern: Hier werden Narrative inszeniert, keine dokumentarischen Fotos. Erinnerungskitsch.
Spätestens zur Osterloge 1962 trat Karl Wedler (Giovanni) als Ritualträger hervor. Grosche reiste dafür eigens nach Stadt Allendorf und wartete im Hotel Hahnenkrug auf die Meisterloge, die Giovanni anschliessend im Wohnzimmer der Maikowskis hielt. Wedler war damit nicht nur Archivar, sondern längst ein operativer Knotenpunkt zwischen Zentrum (Berlin) und Provinz (Stadt Allendorf). Diese frühe Nähe zwischen Ritualbetrieb und Privatwohnung erklärt, warum ein Jahr später ein Missverständnis um eine Kopiermaschine sofort in einen Streit um Autorität und Zuständigkeit ausarten konnte.
Bereits zuvor, im missglückten Putsch vom März 1962, war Wedler in den Geruch geraten, gegen Grosche intrigiert zu haben. Gregorius hatte damals mit Degradationen und der Schliessung der Oriente Stuttgart und Hamburg reagiert und Wedler nach einer Aussprache in die Nähe der Zentrale gerückt. Vor diesem Hintergrund sind Wedlers Empfindlichkeiten gegenüber jeder vermeintlichen Unterwanderung der Grossloge verständlich.
Im Oktober 1963 kulminierte das in einer banalen, aber explosiven Konstellation. Grosche hatte für Geld einen Grad verkauft: Manfred Heber erwarb gegen 1000.- DM den 23°. Aber anstatt in bar an Karl Wedler zu bezahlen, der die Grossloge vertrat, beschaffte Heber im Oktober 1963 eine "Abzugsmaschine", die er als Sachspende an die Grossloge auffasste.
Heber und Maikowski betrachteten ihre Arbeit in Stadt Allendorf ohnehin als unmittelbare Zuarbeit für Grosche und sahen sich eher als direkt dem Grossmeister zugeordneter Arbeitskreis denn als blosser Ortsorient in der peripheren Provinz. Deshalb stellten sie die Maschine bei Maikowski zu Hause in Stadt Allendorf auf. Dort fielen Werbung, Korrespondenz und Vervielfältigungen laufend an. Die beiden glaubten sich zudem zu erinnern, Wedler habe sich bereits früher über Platzmangel zu Hause beklagt; in ihrer Logik war es daher nur folgerichtig, das Gerät dort aufzustellen, wo faktisch am meisten gearbeitet wurde. In ihrem Selbstverständnis blieb die Abzugsmaschine damit Eigentum und Arbeitsmittel der Grossloge, auch wenn sie nicht in Wedlers Wohnung stand.
Wedler fühlte sich nun übergangen und witterte eine Intrige. Vor dem Hintergrund des Putsches von 1962 wollte er nun, in vorauseilendem Eifer, noch strenger gegen vermeintliche neue Übeltäter vorgehen als Grosche — und richtete seinen Verdacht nun vor allem auf Maikowski.
Ein Briefabtausch zwischen den sich verhärtenden Parteien entspann sich,[1] in dem Wedler die "Disziplinlosigkeit sondersgleichen" bemängelte und der Tonfall sich auf beiden Seiten verschärfte. Nach einem Ultimatum Wedlers beendigte Maikowski kurzerhand die Angelegenheit und lieferte die Maschine persönlich am 2.12.1963 bei Wedler zu Hause ab.
Das Ereignis warf jedoch einen dunklen Schatten auf das Verhältnis zwischen Wedler und Maikowski, der sich von Wedlers Vorwürfen tief beleidigt fühlte. Dieser hingegen steigerte sich immer mehr in den Glauben hinein, dass Maikowski etwas gegen ihn im Schilde führe. Besonders angestachelt fühlte sich Wedler von Maikowskis und Walter Englerts Meinung, sie seien als Träger des 18° nur einer Person direkt gegenüber verantwortlich, nämlich dem Grossmeister.[2]
Wedler profilierte sich bei Grosche: "Eines kann ich Dir aber schon jetzt versprechen: ich werde in keinem Falle und in keiner Hinsicht nachsehen. Ich werde bei der sich anbahnenden Auseinandersetzung hart sein, vielleicht diesesmal härter als Du es bisher warst! Und wenn nur wir drei, Du, Maestra Roxane und ich übrig bleiben! Die Loge wird gehalten und wird, so lange ich lebe, nicht untergehen!"[3] Grosche, nach einem "alten Herzinfarkt" gerade aus dem Krankenhaus entlassen, wollte jedoch auf Anraten von Margarete Berndt (Roxane) erst ein persönliches Treffen mit Heber abwarten, bei dem auch Englert dabei sein würde. "Du hast aber unbedingt Recht, hier brauen sich wieder irgendwelche Intrigen zusammen. Ich werde aber auf jeden Fall hart durchgreifen."[4]
Die Episode um die Kopiermaschine fungiert als beispielhafte Fallstudie der damaligen Dynamik: Sie führt vor, wie käufliche Grade und eine ökonomisierte Logenpraxis mit unklaren Zuständigkeiten kollidieren und wie sich aus dieser Gemengelage ein Klima des Misstrauens ergibt — Wedler deutet fast jeden Schritt als Intrige, während Maikowski sein Handeln als konsequente Loyalität zur Grossloge versteht.
Von aussen betrachtet wirkt dieser Zwischenfall wie ein klassischer Alltagskrach in einem Hobbyverein, in dem Sachspenden, Besitzfragen und die Frage "wer darf was entscheiden" sich permanent in die Quere kommen. Wedlers Misstrauen wirkt dabei wie das typische Verhalten eines überlasteten Archivar-Funktionärs, Maikowskis Auftreten wie das eines übereifrigen Mitglieds. Darin liegt der profane Charakter dieser Episode: Sie zeigt, wie klein, improvisiert und zugleich empfindlich in ihren Binnenverhältnissen die F.S.-Strukturen waren.
Inmitten der Warterei auf die Aussprache mit Heber traf ein Brief Maikowskis vom 16.12.1963 ein: "Mit Unterstützung des Frankfurter Orients ist es mir jetzt gelungen, durch langwierige Korrespondenzen und persönliche Besuche einen grösseren Interessentenkreis zusammenzubringen. Wir haben diesen Verein Fraternitas Luminis genannt. Dieser soll als Vorstufe der Fraternitas Saturni dienen, in die die Menschen nach entsprechender esoterischer Schulung überführt werden sollen. Bisher habe ich allerdings erst 20 Interessenten. Meist entstammen sie dem Kreis, der sich auf Ptahoteps Annoncen hin gemeldet haben. Sie haben die Werbeschriften der Fraternitas Saturni erhalten. Einen Eintritt haben sie seinerzeit abgelehnt, meist aus Angst vor 'schwarzer Magie'. Aus diesem Grunde halten wir es für richtig, wenn sie vorläufig noch nichts von der Fraternitas Saturni erfahren. Sie müssen erst langsam zur Fraternitas Saturni heranreifen."[5] Grosche liess Wedler vom Inhalt dieses Briefes wissen. Dieser zückte die rote Karte und behauptete, der Überbringer des damaligen Putschistenbriefes Wolf Rösler (Ramananda) stecke hinter Maikowskis Verein Fraternitas Luminis und sei deren spiritus rector.
Auf diese Weise aufgewiegelt, entschloss sich Grosche, "hart" durchzugreifen.[6]
Von dem Flugplatz in Westberlin bin ich zum Grunewald mit der S-Bahn gefahren. Ich habe keinen Menschen getroffen, den ich kannte. Also konnte ich auch mit niemandem etwas reden. Beim Warten in irgendeinem Wartesaal habe ich autogenes Training gemacht, wie ich es immer gemacht habe, wenn ich irgendwo warten musste, wie ich es auch heute noch in gleicher Situation mache, z.B. im Wartezimmer bei einem Arzt.
Wie es für mich war, an diesem besonderen Tag am frühen Nachmittag gegen 15 Uhr zu Gregorius zu kommen? Sehr erhebend, nachdem ich in einer Blumenhandlung einen Blumenstrauss, gelbe Teerosen, für Frau Grosche gekauft hatte. Ja, einen Tag vor Heilig-Abend ein weihevolles erhebendes Gefühl der Erwartung wie vor einer weihnachtlichen Bescherung. Nachdem ich Frau Grosche, die mir die Tür öffnete, ihre Blumen überreicht hatte, wurde ich sehr warmherzig von Grosche begrüsst und umarmt, während sich Frau Grosche wie üblich ins Wohnzimmer zurückgezogen hat, und Gregorius mich mit in sein Arbeitszimmer nahm. Dort nahm er hinter seinem Schreibtisch Platz, und ich links vom Schreibtisch in einem Sessel. Ich entsinne mich an sein Lob meiner Treue zu ihm und zur Loge, und er hat damals in mir seinen Nachfolger gesehen, und er hat mir auch gesagt, wie schwer ich es haben würde ; denn nicht alle Putschisten wären heraus aus der Loge.[7]
Und dann warf ich einen Blick nach links zum Fenster hinaus auf die Strasse und da war im Nachmittagssonnenschein Giovanni mit einem kleinen Mädchen beschäftigt, dem er gerade unter die Röcke zwischen die Oberschenkel griff. [Siehe dazu die Anmerkungen unter der Fussnote 16]
'Gregorius, Gregorius, sieh doch mal eben aus dem Fenster!' habe ich ganz laut gerufen.
Ich war aufgesprungen. Ich zeigte dorthin, als Gregorius aufstand und hinaussah.
Da sagte er zu mir oder fragte er mich: 'Immanuel [= Maikowski], was willst Du von dem meineidigen Lumpen auch anders erwarten?'
Dann sind wir zu unseren Plätzen zurückgekehrt und haben wieder Platz genommen. Und unser Gespräch fortgesetzt. Kurz bevor es Zeit wurde, zu gehen, um rechtzeitig mein Flugzeug zu erreichen, hat er gesagt:
'Immanuel, Du wirst, wenn ich tot bin, mein Nachfolger als Grossmeister der FS.'
Ich aber habe gesagt: 'Aber Gregorius, dafür ist doch noch lange Zeit, warum heute schon davon reden?'
Da deutete er mir an, zu seinen Füssen mich nieder zu lassen, und das habe ich gemacht,[8] und Gregorius hat gesagt:
'Ich lege Dir die Hände auf und weihe Dich damit zu meinem Nachtfolger als Grossmeister der Fraternitas Saturni.'
Nachdem ich aus meiner knieenden Haltung nach der Weihe aufgestanden war, zog ich mir meinen Mantel in der Garderobe wieder an, (dass ich ihn dort vorher gelassen hatte, habe ich vorhin nicht geschildert). Dann habe ich mich von Frau Grosche per Handschlag verabschiedet, und Gregorius hat mich ganz fest umarmt, wie noch nie so herzlich je zuvor.
Draussen waren Giovannni und Mädchen nicht mehr zu sehen.
Fussmarsch mit Ankauf von Weihnachtsgeschenken für Flita zum Bahnhof Grunewald. Fahrt mit der S-Bahn nach Berlin-Tempelhof, wo das Passagierflugzeug bereit zum Abflug stand, ich lief hin, nahm meinen Platz ein, zeigte meine Flugkarte. Ich musste natürlich mit dem Flugzeug zurück nach Westdeutschland fliegen; denn ich wurde in der DDR ja noch gesucht, da ich ja erst im Juli 1959 nach meiner Haftentlassung endgültig hatte in die BRD fliehen können. Der Flug mit Weihnachtsliedern nach Frankfurt/Main. Und Bahnfahrt bis nach Stadt Allendorf mit der Bummelbahn. Alles in Ruhe war wie in einem Traum der Glückseligkeit, beim Fussmarsch vom Bahnhof zum Haus im Herrenwald und der herzlichen Begrüssung mit Flita, der ich natürlich alles, was ich bei und mit Gregorius erlebt hatte, gleich bei und nach dem Abendessen erzählen musste.
Ich entsinne mich, tief und traumlos völlig erschöpft geschlafen zu haben […]. Am Morgen bin ich wie immer früh aufgestanden, und habe mein autogenes Training gemacht und in der Oberstufe das innere Licht von oben kommend gesehen, so nahe wie nie zuvor an das die Leute glauben, um das ich weiss. Und nach dem mich Rasieren und Waschen habe ich Flita geweckt und einen schönen Morgen mit ihr verbracht. Natürlich habe ich keine Zeitung gelesen, obwohl ich die Ortszeitung abonniert hatte. Wahrscheinlich, dass Flita das Örtliche in der Zeitung überflogen hat?
Schon zwei Tage vorher hatte ich mir vom Förster einen Weihnachtsbaum aus dem Wald geholt, der schon in einem mit Steinen beschwerten Eimer mit Wasser im Wohnzimmer stand. Der Baum reichte natürlich vom Fussboden bis zum Zimmerdecke. Und den habe ich als Künstler geschmückt, vor allem mit Eis-Lametta, auf jede Nadel einen Silberfaden, mit ein paar roten Äpfeln und Mürbekuchen, und grossen Kerzenhaltern für Haushaltskerzen und Silberfiligrankugeln, und dem silbernen aufrechten Pentagramm auf der Spitze, wie ich es (ausser dem Pentagramm!) aus meiner Heimat in der Mark Brandenburg auf dem Gut meiner Grosseltern kannte. […] Natürlich haben wir Weihnachtsmusik auf einer Schallplatte gehört, ehe wir mit der Bescherung begannen. Gregorius, der mein Weihnachten aus meinen Schilderungen längst kannte, war geistig anwesend."[9]
Maikowskis Erzählung ist voller biographischer Marker: DDR-Flucht, Haft, Aussendienstjob, Ehe mit Flita, Weihnachtsritual aus der Kindheit (Baum wie bei den Grosseltern), autogenes Training als tägliche Praxis: Der 23.12.1963 bündelt alles, was ihm wichtig ist — Familie, Kindheit, Politik, Religion, Esoterik — in einem einzigen "dichten" Tag.
Mein Video-Interview vom 23.8.2011 mit Maikowski, in dem er sein Erlebnis vom 23.12.1963 auffrischt, findet sich auf YouTube.
Wir begegnen derselben Szene zum zweiten Mal — nun leicht nuanciert.
Transkript
PRK: Und jetzt erzählen Sie doch einfach mal bitte: Wie ist das gewesen mit Eugen Grosche an dem Tag, als Sie ...?
JM: Es war der 23.12., und Gregorius hatte mir geschrieben. Wir hatten auch zusammen telefoniert, und er hat gesagt, er möchte mich gerne in Berlin sehen.
Und da hab ich - da ich vor Weihnachten Urlaub hatte, bei Sandoz, konnte ich also weg. Und habe dann, obwohl das noch gar nicht Sandoz war - es war damals noch Löwens-Pharma -, ist auch egal.
Auf jeden Fall bin ich mit dem Flugzeug bis Berlin-Tempelhof geflogen, in der DDR wurde ich ja noch gesucht, als Republikflüchtiger - zum zweiten Mal rückfällig.
Fuhr also bis Tempelhof, stieg in die S-Bahn, fuhr bis zum Bahnhof Grunewald, kaufte Blumen für Frau Grosche. So, machte mich auf den Weg, fünf Minuten etwa zur Winklerstraße 9, und wurde von Gregorius sehr freundlich an der Haustür per Handschlag begrüßt.
Ich weiß nicht, ob wir damals, damals ... ob wir da schon per Du waren. Auf jeden Fall, ich glaube ja, denn nach dem Putsch hat er mir, glaube ich, sogar das Du angeboten. Damals 1963 oder 1962.
Nun ja, ich habe also erst einmal Frau Grosche ihre Blumen gegeben, und Gregorius hat mich hinein gebeten in sein Arbeitszimmer. Ja, und dann haben wir uns unterhalten, über alles Mögliche.
Ja, und dann war es eben sein großes Problem: Wer folgt mir nach? Und: "Ich möchte, dass du, Immanuel, diese Nachfolge antrittst." Aber da habe ich noch gesagt: "Aber lieber, äh, lieber Großmeister, lieber Gregorius, das ist noch lange hin - meine Güte, dass Sie jetzt schon daran denken!"
Na gut.
Und dann hat er gesagt irgendwann im Laufe des Gesprächs: "Hier, knie dich hin."
Und das habe ich gemacht, und er hat mir dann die Hände aufgelegt. "Und hiermit weihe ich dich zu meinem Nachfolger, Großmeister Immanuel." So.
Nun haben wir uns dann noch weiter unterhalten.
Weiter war eigentlich nichts. Frau Grosche hat uns zum Kaffee eingeladen. Wir haben ein bisschen Kaffee getrunken, ein bisschen Kuchen gegessen, ja, und haben uns nett unterhalten. Und sind wieder ins Arbeitszimmer zu Gregorius zurückgegangen.
PRK: Und hatten Sie da spezielle Gefühle, in dem Moment, als Eugen Grosche Sie zum Großmeister ...?
JM: Ja. Ja, die Gefühle kann man eigentlich jetzt kaum noch beschreiben, es war sehr feierlich. Eine Schwingung im Raum, fast so wie jetzt hier zwischen uns. So ein eigenartiges Schweben, irgendwie unbegreiflich.
PRK: Ja. Und das hat noch lange Echo gehabt? Hat das lange in Ihnen nachgehallt? Oder ist dann das ...?
JM: Ja ... nein, nein, es lebt noch nach.
PRK: Ja.
JM: Lange Zeit.
PRK: Ja.
JM: Und als ich dann nachher mich verabschieden musste, so gegen sieben Uhr abends, weil mein Flugzeug ja zurückging von Berlin-Tempelhof nach Frankfurt, war kein Giovanni mehr zu sehen vor der Haustür. Gregorius hat mich zur Tür gebracht, hat mich umarmt.
PRK: Ja.
JM: Etwas, was ganz, ganz selten war, was er früher nie gemacht hat. Wir haben uns sonst nur per Handschlag ...
PRK: Ja.
JM: Auch bei meiner Meisterweihe war es ja nur ein Handschlag.
PRK: Ja.
Im Abstand von nur wenigen Monaten erzählt Johannes Maikowski dieselbe Schlüsselszene seines Lebens zweimal: einmal in zwei Emails vom 4. Mai 2011, dann im Video-Interview vom 23. August 2011 in Kaiserslautern. In beiden Fällen geht es um den Besuch bei Eugen Grosche am 23.12.1963, um die Handauflegung und die Frage der Nachfolge in der Fraternitas Saturni. Auf den ersten Blick scheinen die beiden Fassungen dasselbe zu berichten. Legt man sie jedoch nebeneinander, sieht man die Verschiebungen sofort. Ton, Details und Gewichtung sind nicht gleich. Damit zeigt sich auch: Das ist funktionale, rekonstruierte Erinnerung. Es ist kein neutraler 'Bericht aus der Vergangenheit'.
Zunächst zum gemeinsamen Kern. Unverrückbar stehen in beiden Versionen bestimmte Bausteine: Maikowski fliegt kurz vor Weihnachten nach Berlin, damals noch als "Republikflüchtiger", nimmt von Tempelhof die S-Bahn nach Grunewald, kauft Blumen für Frau Grosche und läuft zur Winklerstraße 9. Er wird freundlich empfangen, übergibt die Blumen, Frau Grosche zieht sich zurück, und Gregorius bittet ihn in das Arbeitszimmer. Dort entspinnt sich ein Gespräch, in dem der alte Grossmeister die Frage "Wer folgt mir nach?" aufwirft und Maikowski — Immanuel — als seinen Nachfolger benennt. Maikowski reagiert zunächst abwehrend, spricht davon, dass das doch noch lange hin sei. Schließlich kommt es zur Szene der Handauflegung: Gregorius fordert ihn auf, zu knien, legt die Hände auf seinen Kopf und weiht ihn zum Nachfolger als Grossmeister. Am Ende kommt es zu einem Abschied mit Umarmung, die als sehr selten markiert wird, und dem Motiv, dass Giovanni draußen nicht mehr zu sehen ist. Diese Struktur ist in Emails und Video gleich: der dogmatische Kern — persönliche, rituell aufgeladene Nachfolgebestimmung — bleibt unangetastet.
Gerade weil dieser Kern so stabil ist, fallen die Unterschiede umso deutlicher ins Auge. Sie beginnen schon beim Einstieg. In der Videofassung verankert Maikowski die Szene deutlich im biographisch-beruflichen und politischen Kontext: er spricht davon, dass er "bei Sandoz" Urlaub hatte, korrigiert in einem Halbsatz auf "damals noch Löwens-Pharma", und betont, dass er in der DDR als Republikflüchtiger gesucht wurde, "zum zweiten Mal rückfällig". Das Interview beginnt damit als Episode im Leben eines Pharmavertreters, der unter Spannungen zwischen Ost und West steht. Die Emails dagegen kennen keinen Firmennamen und kaum Außenwelt: dort dominiert der Hinweis, er habe weder Zeitung noch Radio konsumiert, die profane Welt habe ihn "damals genau so wenig wie heute" interessiert. Die Zeit im Flughafen wird mit autogenem Training überbrückt, nicht mit Alltagsdetails. Die Mails rahmen den Tag spirituell und weltabgewandt, das Video biographisch und politisch — zwei unterschiedliche Bühnen, auf denen dieselbe Szene spielt.
Auch die Stimmung beim Eintreffen in Berlin driftet auseinander. In den Mails wird der 23. Dezember mit weihnachtlichem Pathos aufgeladen: Maikowski beschreibt ein "erhebendes Gefühl der Erwartung wie vor einer weihnachtlichen Bescherung". Die Atmosphäre ist von Beginn an liturgisch. Im Video erzählt er den Ablauf wesentlich trockener: Flug, S-Bahn, Blumen, Winklerstraße. Das Gefühl der Besonderheit taucht erst später auf, wenn er von einer "Schwingung im Raum" und einem "eigenartigen Schweben" spricht. Die schriftliche Erinnerung spannt den Heilsraum von Anfang an auf; die mündliche versieht die Szene nachträglich mit einem mystischen Moment, bleibt im Aufgang aber nüchterner.
Deutlich sind auch die Unterschiede im beschriebenen Gesprächsinhalt. In den Mails wird Gregorius ausführlich zitiert: er lobe Maikowskis "Treue zu ihm und zur Loge", spreche warnend von den "Putschisten", die noch immer in der Loge seien, und zeichne die Nachfolge als schwere Bürde. Der Putsch und die inneren Feinde sind integraler Bestandteil des Dialogs. Im Video bleibt davon nur eine verdichtete, abstrakte Form übrig: "Wer folgt mir nach?" — "Ich möchte, dass du, Immanuel, diese Nachfolge antrittst." Die konflikthafte Binnenlage der F.S. wird im Interview nur gestreift und nicht ausgeschmückt. Wo die Emails die Szene in ein dichtes Netz aus Loyalität, Verrat und innerer Spaltung einweben, präsentiert das Video vor allem den schlichten Problem-Lösungs-Dialog.
Der vielleicht markanteste Unterschied betrifft die Giovanni-Episode. In der schriftlichen Fassung nimmt sie viel Raum ein: Maikowski schildert, wie er zusammen mit Gregorius aus dem Fenster blickt und Giovanni sieht, der mit einem kleinen Mädchen "beschäftigt" ist und ihm "unter die Röcke zwischen die Oberschenkel greift". Daraufhin ruft er Gregorius ans Fenster; dieser reagiert mit der Bemerkung, von einem "meineidigen Lumpen" sei nichts anderes zu erwarten. In dieser Version ist die Szene eine gewaltige moralische Anklage gegen Wedler — Kinder, Sexualität, Meineid, dazu später noch der Messerangriff. Sie dient offenkundig dazu, Wedler nicht nur als politischen Gegner, sondern als moralische Fehlgestalt zu markieren. Im Video ist davon nichts übrig. Giovanni erscheint nur noch am Rand — als jemand, der am Ende "nicht mehr vor der Haustür zu sehen" ist. Die zentrale, schwerwiegende Beschuldigung verschwindet vollständig. Gerade diese Asymmetrie ist sprechend: Was im Email-Verkehr als dramatische Schlüssel-Observation inszeniert ist, wird vor laufender Kamera komplett ausgespart. Es ist plausibel, hierin keine plötzliche Amnesie zu sehen, sondern eine strategische Glättung — aus Gründen der Publikumswirkung und möglicher Rechtsfolgen.
Auch die Formulierung der Weihe selbst ist verschoben. In den Mails erscheint sie in einer Zweistufigkeit: Gregorius erklärt, Immanuel werde "wenn ich tot bin, mein Nachfolger als Großmeister der FS" und spricht dann eine explizite Formel mit dem vollen Namen der Fraternitas Saturni. Im Video reduziert sich das auf die Direktrede "Hier, knie dich hin" und "hiermit weihe ich dich zu meinem Nachfolger, Großmeister Immanuel". Der institutionelle Bezug ("Grossmeister der Fraternitas Saturni") ist in den Mails stärker akzentuiert; im Video steht eher der Titel im Vordergrund, ohne dass die Loge namentlich aufgerufen wird. Der dogmatische Gehalt bleibt, die formelhaft-liturgische Schwere wird in der mündlichen Version etwas entschärft.
Eine weitere Verschiebung betrifft den Umgang mit Alltag und Profanität. Die Interviewfassung enthält ein Element, das in den Emails fehlt: Kaffee und Kuchen. Im Video sagt Maikowski, nach der Weihe sei "eigentlich nichts weiter" gewesen; Frau Grosche habe zum Kaffee eingeladen, man habe Kuchen gegessen, sich nett unterhalten und sei dann wieder ins Arbeitszimmer gegangen. Das verankert die Heilszene in einem normalen Nachmittagsablauf; die rituelle Spitze ist eingerahmt von der bürgerlicher Wohnstube. In den Mails taucht dieser profane Einschub nicht auf. Dort schließt an die Weihe unmittelbar die Rückreise mit "Traum der Glückseligkeit" an, der minutiös geschilderte Weihnachtsbaum mit Eis-Lametta, Äpfeln und Pentagramm, das autogene Training am nächsten Morgen mit "innerem Licht", die geistige Anwesenheit Gregorius’ bei der Bescherung. Alles, was die Szene in ein bürgerliches Alltagssetting zurückholen könnte — Kaffee, Kuchen, Smalltalk — wird ausgelassen. Die schriftliche Erinnerung folgt der Logik eines ungebrochenen Heilsdramas; die mündliche erlaubt sich ein Stück Normalität.
Auch im Nachklang differieren die beiden Versionen. Im Video bleibt Maikowski vage, aber dicht: die Gefühle seien kaum noch zu beschreiben, es sei "sehr feierlich" gewesen, eine "Schwingung im Raum", ein "eigenartiges Schweben, irgendwie unbegreiflich", und "es lebt noch nach, lange Zeit". In den Mails entfaltet er einen regelrechten Nachklang-Teppich: Reise im Zustand ekstatischer Beglückung, Einschlafen "wie im Traum", Erwachen mit besonderem Lichtgefühl, autogenes Training, bei dem das Licht von oben in ihn hineinfließt "wie nie zuvor", mentale Präsenz Gregorius’ beim Weihnachtsabend, fast wie eine private Epiphanie. Das, was im Interview auf zwei Sätze kondensiert ist, wird in den Emails zu einem vollständigen eigenen Evangelium der Nachfolge mit Vorabend, Hochfest und ausgedehntem Nachklang.
Warum diese Differenzen — und das alles innerhalb von wenigen Monaten? Der offensichtlichste Grund liegt in Funktion und Medium. Die Emails, die er vollumfänglich zur Zitierung freigegeben hat, sind an mich (P.R. König) adressiert, in einem Kontext, in dem es um die Rekonstruktion und Begründung von Nachfolgeansprüchen und Konfliktlinien geht. In diesem Rahmen kann Maikowski hemmungslos mythologisieren und dämonisieren. Die Giovanni-Szene erfüllt eine klare argumentative Funktion: Sie liefert die moralische Totaldiskreditierung Wedlers, die in Nachfolgestreitigkeiten äußerst nützlich ist. Ebenso funktionieren der Kult um den Weihnachtsbaum, das innere Licht und die geistige Anwesenheit Gregorius’ als theologische Aufladung: Aus einem Besuch wird ein Heilsereignis, aus einer Handauflegung eine Weihnachtsgeschichte.
Das Video dagegen ist erkennbar als öffentliche Inszenierung angelegt; aufgenommen wurde es in einem zu einem Hotel umfunktionierten ehemaligen Gefängnis in Kaiserslautern. Maikowski ist sich nun sehr bewusst, dass seine Worte aufgezeichnet und verbreitet werden, um seine Version der Ereignisse zu präsentieren. In dieser Situation hält er am Kern der Legende fest – Flug, Besuch, Gespräch, Weihe, Nachklang –, fügt als optisches Detail seine Fremdenlegionärs-Krawatte hinzu, nimmt erzählerische Kanten aber zurück. Die Giovanni-Beschuldigung fällt unter den Tisch, der Weihnachtskitsch wird auf ein "Schweben" und eine "Schwingung" reduziert, die Lichterlebnisse verschwinden. An ihre Stelle treten berufliche Angaben (Sandoz / Löwens-Pharma), politischer Hintergrund (Republikflüchtiger), ein wenig Alltagsnormalität (Kaffee, Kuchen). Man könnte sagen: Die Mail-Version treibt die Legendenbildung auf die Spitze, die Video-Version behauptet dieselbe Legende in einer entschlackten, medienkompatiblen Form – erzählbar, "nett", weniger angriffslustig.
Charakteristisch ist der Moment, in dem Maikowski die damalige "Schwingung im Raum" mit der Interviewsituation kurzschliesst: "fast so wie jetzt hier zwischen uns". Damit zieht er mich ausdrücklich in seine Szene hinein und versucht, mich und meine Begleiterin — und das spätere Publikum — als Mit-Zeugen der feierlichen Stimmung zu rekrutieren. Authentizität entsteht hier weniger über Dokumente als über das Angebot, sich auf eine gemeinsam empfundene Atmosphäre einzufinden. Wer sich auf diese inszenierte Stimmung einlässt, akzeptiert den Nachfolgemythos eher als "gefühlt wahr", unabhängig von der Aktenlage. Meint er.
An diesem Punkt stellt sich eine Frage, die sich weniger an Maikowski als an mich richtet: Hätte er dieses Weihnachtsmärchen in dieser Form auch erzählt, wenn ich nicht mit Aufnahmegerät und Publikationsmöglichkeit vor ihm gesessen hätte? Wollte er mir gefallen, oder benutzte er mich als Verstärker – als jemanden, der dafür sorgen kann, dass seine Nachfolgegeschichte auch ausserhalb des hermetischen Milieus der Okkultisten gehört wird? In der historischen Forschung ist dieses Problem alt: Das Verhältnis von Subjekt und Objekt kippt, sobald das "Objekt" weiss, wofür es befragt wird. Die Physik hat dafür mit der Heisenbergschen Unschärferelation ein bequemes Bild geliefert: Schon der Messvorgang verändert die Bahn des Teilchens. Übertragen auf Maikowski heisst das: In dem Moment, in dem ich frage und ein späteres Publikum mitdenke, verschiebt sich seine Erinnerung in Richtung der Rolle, die er vor mir – und für dieses Publikum – spielen möchte. Ganz "objektiv" lässt sich der Punkt, an dem Erzählung und Inszenierung auseinanderlaufen, nicht mehr angeben; sichtbar bleibt nur die Spur, die unsere gemeinsame Versuchsanordnung im Material hinterlassen hat.
Beide Texte sind also nicht bloß "zwei Erinnerungen", sondern zwei Inszenierungen der Erinnerung mit unterschiedlicher Zielrichtung. Die Übereinstimmungen markieren den harten narrativen Kern, den Maikowski um jeden Preis sichern will: "Gregorius hat mich persönlich zum Nachfolger geweiht." Die Unterschiede — Sandoz versus Weltabkehr, Giovanni-Szene versus Schweigen, heilsgeschichtliches Weihnachtsdrama versus knapper mystischer Nachklang — zeigen, wie flexibel dieser Kern ausgestaltet werden kann, je nachdem, ob es um interne Legitimationsarbeit oder öffentliche Selbstpräsentation geht. Genau in dieser Variabilität liegt der eigentliche historische Befund: Wir sehen weniger "wie es war" als vielmehr, wie ein Nachfolgemythos 2011 noch einmal durchgespielt, angepasst und in unterschiedlichen Registern nachgereicht wird.
Auffällig ist, wie stark Maikowskis späte Video- und Textinszenierung auf Authentizität zielt — und damit paradoxerweise gerade den Legendencharakter der Szene verstärkt. Der Zeitzeuge erzählt nicht nur, er führt seine eigene Nachfolgegeschichte vor Publikum noch einmal durch. Für ihn markiert diese Begegnung eine existenzielle Schwelle, keinen "netten Besuch mit Kaffeeklatsch bei Gregorius". Der Nachfolgemythos wird inszenatorisch wie ein Heim-Evangelium zum 23. Dezember nachgereicht — Jahrzehnte nachdem die Kämpfe faktisch vorbei waren und doch so erzählt, als müssten sie erst noch entschieden werden.
Bemerkenswert ist das Timing: Maikowski erzählt die Episode erst 2011 in dieser Detailfülle. Soweit ersichtlich hatte er sie davor keinem Logenmitglied gegenüber erwähnt. Angesichts der behaupteten Bedeutsamkeit wirkt dieses späte Auftauchen eigenartig. Bis dato wurden die vorweihnächtlichen Weihen in seinen eigenen Texten deutlich nüchterner beschrieben. Ein Beispiel:
"RITTER IMMANUEL wurde im Jahre 1963 die Hochwürde eines GROSSKOMTURs (27.°) verliehen. Im Jahre 1963 erhielt IMMANUEL den 30.° eines RITTER CADOSCH."[10] Keine Erwähnung einer Nachfolgeschaft des Grossmeisteramtes.
Die frühesten mir bekannten schriftlichen Fassungen des Nachfolgenarrativs finden sich in zwei Mails Maikowskis von 2009. Dort berichtet er mir, Gregorius habe ihm im Dezember 1963 in einer letzten Unterredung in dessen Arbeitszimmer, das für diesen Anlass logenartig hergerichtet gewesen sei, mündlich die Nachfolge zugesprochen — eine Unterredung ohne Zeugen, von der er nach eigener Aussage nur seiner damaligen Ehefrau Flita erzählt habe.[41] Zugleich verknüpft er diese Szene mit einer Wahl durch sieben Meister in Frankfurt im Jahr 1964 und einem Inthronisationsritual zu Ostern 1965, durch das er zum Grossmeister auf Lebenszeit erhoben worden sei.[40] Die spätere Video- und Textinszenierung von 2011 greift diese Motive auf, treibt sie jedoch zu einer in sich geschlossenen Heilsgeschichte der Nachfolge aus.
Der langsame Wechsel von einer trockenen Gradaufzählung zu der späteren, weihnachtlich ausgeschmückten Nachfolge-Erzählung legt nahe, dass wir es eher mit einer nachträglichen Selbstdeutung als mit einem zeitnah fixierten Protokoll zu tun haben.
Wie steht es mit der Faktenlage?
Es existiert ein Dokument, in dem Grosche am 25.12.1963 Maikowskis Gruppe
vorschlug, aus der F.S. auszutreten, falls dieser eine eigene Loge gründen
sollte, die den Begriff Fraterschaft im Namen führe, aber nicht auf die Fraternitas Saturni hinweise. Eine Logengründung käme nur in Frage, wenn diese neue Loge als Tochterloge, als Vorhof oder Vorschule zur F.S. gehöre.[11] Kein Hinweis auf eine zwei Tage vorher erfolgte Weihung oder Nachfolgeschaftregelung.
Grosche schien aber doch vergessen zu haben, dass Maikowski schon einige Zeit vorher die Fraternitas Luminis "zur Freude des Gregorius"[12] gegründet hatte. Verkompliziert wurde die Situation durch Maikowskis Wortwahl: "ist es mir jetzt gelungen." (Fettdruck nicht im Original von 16.12.1963. Grösserer Auszug oben zitiert.)
Die Diskrepanz zwischen innerem Weihnachtsmärchen und äusserer Aktenlage ist markant: Gerade die märchenhafte Überhöhung — Weihnachtslied im Flugzeug, perfekter Baum, geistig "anwesender" Gregorius — kontrastiert scharf mit dem nüchternen Schreiben vom 25. Dezember, in dem derselbe Gregorius Maikowski und seine Gruppe eher an den Rand drängt. Diese Reibung zwischen Erzählung und Dokumentation ist für die gesamte Maikowski-Überlieferung typisch. In diesem Sinne wirkt die Figur des Grossmeisters bei Maikowski weniger als historischer Amtsträger denn als Rolle in einem fortgeschriebenen Weihnachts- und Leidenstext, in dem er selbst zugleich Zeuge, Auserwählter und Kommentator ist.
Im Selbstverständnis eines esoterischen Praktikers kann eine stark innerlich-mystische Rahmung (autogenes Training, "inneres Licht", geistige Anwesenheit) jedoch ausreichend authentifizierend gemeint sein — nicht notwendigerweise als bewusste Legende.
Maikowski konnte sich Grosches dokumentierte Reaktion, die ich ihm vorlegte, nicht erklären und schlug in seinen Schilderungen gleich noch eine weitere Kerbe in Wedlers Ruf. Entweder "muss Gregorius im Dezember 1963 'mente captus' gewesen sein oder ich selbst?"[13] "Darum habe ich nie verstanden, dass Gregorius diesen Herrn Wedler im Januar 1964 in seine Wohnung gelassen hat, wo er wie mir Frau Grosche sagte, mit dem Messer auf G.A.G. losgegangen ist oder sein soll, was ja wohl zum Herzinfarkt und Tod geführt hat."[14] "Die Worte von Frau Grosche waren am Telefon [vermutlich am 5.1.1964, dem Tag von Grosches Tod] von Berlin nach Stadt Allendorf sehr kurz. Vielleicht hatte sie finanzielle Probleme und hat sich kurz gefasst?"
In etwa die Worte, die ich nicht beschwören will:
'Soeben ist Gio. mit dem Messer auf Gr. losgegangen. Ehe er zustoßen konnte, ist Gr. umgefallen, und war schon tot als der Arzt gekommen ist.'"[15]
"Von der Messerattacke wissen nur W. Englert und ich, da uns Frau Grosche telefonisch darüber informiert hat. Nach ihrer eigenen Aussage hat sie durch die Tür des Arbeitszimmers, die etwas geöffnet war, zufällig diese Attacke gesehen. Gregorius sei plötzlich vor dem Messer, das Herr W., das er in der Hand vor G.s Brust stossbereit hielt, zusammengebrochen, und der Arzt hätte nur noch den Tod von G. feststellen können. (Also Herzinfarkt durch Schreck).
Warum weder Frau Grosche noch Frau Berndt(Roxane) die Polizei eingeschaltet haben, weiss ich nicht. Oder haben das Frau Grosche und Frau Berndt versucht? Nun war Herr W. ja selbst Polizist, Polizeimeister. Er wird schon gewusst haben, wie man das arrangiert.
Hat Frau Berndt geschwiegen, weil sie die Geliebte von W. war? Hat W. sie deshalb zum GM der FS 'gewählt'?"[16]
Dass diese dramatische Messer-Episode ausschliesslich auf einer telefonischen Erzählung der Witwe und auf Maikowskis spätem Erinnerungsprotokoll beruht, macht sie historisch äusserst unsicher. Analytisch ist sie vor allem als Legende zur Dämonisierung Wedlers und zur nachträglichen Legitimation des Bruchs aufschlussreich.
Es gibt weder Polizeiakten noch ein Gerichtsverfahren, und eine eigene Darstellung Wedlers fehlt völlig. Aus seiner Perspektive würde ein derart ungesichertes Szenario eher in die Rubrik "Verleumdungen" gehören als in eine historisch-analytische Rekonstruktion. Auffällig ist zugleich, wie dicht die negativen Motive um seine Figur gebündelt sind: Messerattacke in der Küche, Kinder unter dem Rock, arrangierbare Polizeiakten, Meineid, sexuelle Anspielungen und der Verdacht einer unklaren Beziehung zu Roxane bilden zusammengenommen ein fast vollständiges Dämonisierungsprofil. Wenn man diese drastische Abwertung ("meineidiger Lump", Messer in der Hand, Polizist, der "weiss, wie man so etwas arrangiert") bedenkt, liegt die Vermutung nahe, dass hier nachträglich eine Dämonisierung konstruiert wird, um den Bruch zu legitimieren — funktional vergleichbar mit einer negativen Gründerlegende, in der der Andere so verunstaltet wird, dass die eigene Abspaltung wie eine historische und moralische Notwendigkeit erscheint. Einzelne Elemente mögen reale Konflikte oder Übertreibungen tatsächlicher Vorfälle spiegeln; in der erzählerischen Verdichtung funktionieren sie jedoch weniger als nüchterne Rekonstruktion, sondern als moralische Totalanklage, die Wedler nachträglich als durch und durch unzuverlässige, abgewertete Figur markiert. Dieses von Maikowski entworfene Feindbild erfüllt eine klare Funktion im Nachfolge- und Spaltungsgeschehen: Es rechtfertigt den Bruch nicht nur organisatorisch, sondern auch ethisch, indem die eigene Distanzierung als zwingende Reaktion auf ein "unhaltbares" Verhalten inszeniert wird. Dass die drastischsten Vorwürfe fast ausschliesslich aus späten Erzählsträngen stammen und kaum durch zeitnahe Gegenquellen gestützt werden, gehört zu dieser Funktionsweise dazu.
Maikowskis Gegenspieler, Karl Wedler, war im bürgerlichen Leben Oberinspektor beim Bochumer Ordnungsamt und zuständig für die Gaststätten. "Ehemalige Kollegen schildern ihn als Beamten alter Schule, knochenhart und staubtrocken."[17]
Seit Oktober 1958 fungierte Wedler als Grosslogen-Archivar,[19] also als derjenige, bei dem alle laufenden Unterlagen zusammenliefen. Als Grosslogenarchivar sass er von Beginn an auf dem Nervenzentrum der Logenakten — eine Rolle, die später in den Erzählungen um gestohlene Manuskripte, leergeräumte Schreibtische und wandernde Archive ihre eigene Legendenbildung hervorbrachte. Zur Osterloge 1962 trat er auch praktisch als Meister im Vollzug auf, als er in Stadt Allendorf im Wohnzimmer Maikowskis eine von Gregorius erwartete Meisterloge leitete.
In den Putschwirren von 1962 erschien er in Maikowskis Darstellung als Kopf der Palastrevolution gegen Gregorius; die anschliessenden Degradationen, Logenschliessungen und die spätere Rehabilitierung Wedlers markierten ihn als eine der frühen machtpolitischen Drehfiguren der F.S.
Von den späten 1960er Jahren bis in die 1980er Jahre festigte sich Wedlers Rolle — als Archivar, Ehrenmeister und graue Eminenz im Hintergrund. 1966 trommelte er in Briefen an Walter Jantschik für Guido Wolther und dessen Frau Miriam, Logennamen Daniel und Rahel, und meinte, durch die beiden werde "unsere Bruderschaft inhaltsreicher, magischer, dynamischer und möchtiger [sic] werden." Er übergab ihr Ritualunterlagen der F.S. mit der Widmung: "Der Schw. Rahel übereignet in Anerkennung für ihre aufopfernde Arbeit! Ihr Giovanni 26.8.1966!!"
1968 erklärte er schriftlich seinen Austritt aus der Loge, wurde aber kurz darauf vom damaligen Grossmeister Wolther zum Ehrenmeister der F.S. mit allen Graden und Rechten ernannt. Sein Austritt kollidierte damit mit dem eigenen Verständnis vom 33° als lebenslangem Amt; Willi Hauser (Fabian) bemerkte nicht zu Unrecht, ein Austritt "im 33. Grad" sei eigentlich gar nicht vorgesehen. Wolther holte Wedler in dieser Konstellation als Ehrenmeister in den AMOS-Zusammenhang zurück: Wolther hatte nämlich "auf höheren Befehl des Grossen Demiurgen Saturn" einen neuen Geheimorden gegründet — den Alten und Mystischen Orden der Saturnbruderschaft, AMOS, bzw. Mystischen Orden des Saturn, OMS (auch Ordo Mysticus Saturni genannt) -, eine im Logengesetz nicht vorgesehene, faktisch aber akzeptierte Konstruktion. 1983 intervenierte Wedler noch einmal gegen Maikowskis Wahl zum Grossmeister und berief sich auf eine ihm bereits 1968 erteilte Vollmacht und einen angeblichen letzten Auftrag von Gregorius. Am 8.10.1987 zog er enttäuscht die Reissleine und erklärte schriftlich, die "heutige 'Fraternitas Saturni'" sei für ihn nur noch ein Zerrbild der von Gregorius konzipierten Loge, aus der er nun endgültig austrete. Schon zuvor war er Ehrenmitglied in Dieter Heikaus’ Ordo Saturni geworden, einem von der F.S. abgespaltenen Orden, der einige Mitglieder und den Namen des früheren F.S.-Meisterkreises "Ordo Saturni" übernommen hatte und in dem sich im Laufe der 1980er Jahre auch Wedler als 33° niederliess. Im Gegenzug hatte Wedler am 14.3.1987 Heikaus zum Grossmeister und 30° des O.S. ernannt – sein 33° funktionierte damit weiterhin als symbolische Währung.
[AI-generiertes Image]
Wedler war ein Beamter — im bürgerlichen Leben ebenso wie im Logenleben. In der F.S. dagegen kamen ihm wahrlich übernatürliche Kräfte zu, denn wo der Beamte aufhört, fängt der Magier an: "Selbstverständlich kann der Mensch alles unmittelbar aus dem All erschaffen, was er für sein tägliches Leben benötigt. Er ist auch in der Lage, die so genannten Wunder Jesus zu vollbringen."[18]
Das konnte durchaus angriffig klingen:
Wedler liefert seinem "Bruder und Freund" Guido Wolther das Manuskript "Lotio Diaboli", auch als "Elixier des Teufels" bekannt. Darin finden sich dem "Höllenfürsten Lucifer" geweihte Rezepte für "In der Stunde des Saturn" herzustellende Tinkturen, mit denen Feinde vergiftet, blind gemacht, mit tödlichen Krankheiten infiziert oder in den Wahnsinn getrieben werden können — kurz: vom Halse geschafft. "Der echte Magier muss diese Dinge kennen, um sich im Notfall auch materiell gegen Feinde verteidigen zu können." "Ich …, rufe Euch, Ihr dämonischen und höllischen Kräfte des Universums. Ich, …., rufe insbesondere Dich, großer Fürst des Lichtes und der Finsternis - L u c i f e r ! Ich rufe Dich, Beelzebub, ich rufe Dich - Astaroth - Belial - Behemoth - Leviathan - Agaliarept - Asmodi - Magoth - Orieus - Paimon - Ariton - Amaimon! Ich rufe Euch - Lucifuge genannt Rofocale - Satanchia - Fleurethy - Sargatanas und Nebiros! Euch, Ihr höllichen [sic] Fürsten und Geister, weihe ich diese Elixiere!" etc. etc. (Manuskript datiert vom 26.8.1966).
Zu Ostern 1992 glaubte man im Ordo Saturni, Gertrude Zellhuber (Lara) werde vom Baphometor Walter Jantschik magisch bedroht. Heikaus beschwor GOTOS und die (für das saturnische Denken wichtigen) Plutodämonien, und man begrub eine Voodoo-Puppe auf dem Friedhof: "Wir rufen an den GOTOS des ehrwürdigen Ordo Saturni [...] Wir bringen Dir, GOTOS UTUIT, dar das vollkommene und makellose Opfer. Sw. Lara, Tochter der Nacht, vollziehe das heilige Werk [...] GOTOS UTUIT, mit göttlichem Sperma salbe ich Dein Haupt [...] Sanctus Saturnus, Du duldest keinen Verrat, Du duldest keine Untreue, strafe jeden, der dem Ordo Saturni (und Sw. Lara) schaden will [...] Agiel, Sanctus Saturnus, Zazel, Adonai, Braphiel, Barzabel [...] vollstreckt meinen göttlichen Willen [...]." Angeblich handelte es sich um ein von Wolther entworfenes Ritual, das Wedler weitergab; diesmal trat er nicht als primärer, sondern als sekundärer Magier in Erscheinung. Heikaus ergänzte den Text um Sperma-Passagen (Gespräch mit Frau Zellhuber am 14.10.1992).
Jantschiks lakonische Bemerkung, als ich ihm davon berichtete: "Davon habe ich nichts bemerkt."
2006 starb Karl Wedler. Richard Tschudi, den Grosche im Spätsommer 1963 aufgenommen hatte und der unter dem Namen Set-Orion ab 1966 versuchte, die Fraternitas Saturni in Kanada aufzubauen, schrieb dazu: "Mstr. .'.Giovanni.'. wurde am 10. Mai 2006 in Bochum begraben. Er ist ein paar Tage vorher gestorben." "Ich habe Giovanni waehrend den letzten 5 Jahren jeden Herbst oder Winter besucht. Er war wirklich ein sehr guter Freund und wie ein Vater zu mir. Ohne Giovanni waere die FS nach dem Tode von Gregorius untergegangen. Er hatte auch eine grosse okkulte Bibliothek. Er war immer mehr der Mann im Hintergrund und hat Publizitaet gescheut. Er war aber sehr 'wissend', obwohl er sich manchmal dumm gestellt hat. Er wurde auf Anraten von Gregorius Freimaurer und auch Hochgrad Freimaurer. Sein Gedaechtnis war ausgezeichnet. Er konnte sich an alle Kleinigkeiten, welche in der FS und dem OS vorgefallen sind, erinnern, sogar kurz vor seinem Tode, als er schon einen Schlaganfall hatte." [Mehrere Emails im November 2006]
In der Summe erscheint Wedler damit weniger als eindimensionaler Bösewicht der Maikowski-Erzählung, sondern als konsequent loyale, teils fürsorgliche, teils verbitterte Schlüsselfigur der saturnischen Nachgeschichte.
Nach diesem Exkurs zu Wedlers späteren Rollen kehren wir zurück in die 1960er Jahre — dorthin, wo der Konflikt um die Kopiermaschine und die Nachfolge erstmals eskalierte.
Grosche starb am 5.1.1964 im 76. Lebensjahr.
Möglicherweise spielte neben den Intrigen auch der Ton mancher misogyn geprägter Passagen in den F.S.-Schriften eine Rolle: Die Witwe zeigte jedenfalls wenig Interesse am Fortbestehen der Loge und löste sogar das Antiquariat ihres Mannes auf;[20] die Rechte an Grosches Werken verkaufte sie angeblich an den Schikowski-Verlag.[21] Drei Monate später, im Frühjahr 1964, starb Ria Grosche bei ihren Kindern in Kanada an Krebs.[22]
"Vor ihrer Reise nach Kanada habe ich noch Frau Ria Grosche 1964 in Berlin besucht und gesprochen. Und sie war es, die mir die Vorgänge und die Machenschafen eines gewissen Bruders während der Beerdigung von Gregorius, geschildert hat. Dieser Bruder (Giovanni) wäre also nicht auf der Beerdigung gewesen, sondern hätte währenddessen Gregorius Scheibtisch angeblich gewaltsam geöffnet, und hätte die beiden Manuskripte der Fortsetzungen des Romans Exorial gestohlen , nebst dem Testament von Gregorius. Das hat zumindest Frau Ria Grosche behauptet. Deshalb habe ich auch "hätte" geschrieben; denn ich weiß die Tatsachen ja nicht aus eigener Anschauung.
Was ist nun Klatsch, und was ist Wahrheit?" [Fettdruck im Original][23]
Grosche selber besass kein Logenarchiv, da sämtliche Unterlagen jeweils sofort an den Archivar Karl Wedler gegangen sind. Maikowski hörte, dass "Während der Trauerfeier" "Herr Wedler in der Wohnung von Gregorius" gewesen sein soll und "den Schreibtisch und verschiedene Schränke leer gemacht," "also bekanntlich das Logeneigentum mitgenommen" habe. "Das behauptete jedenfalls Frau Ria Grosche."[24]
"Ob es ein Ritual beim Urnenbegräbnis von Gregorius auf dem Friedhof gegeben hat, glaube ich nicht; denn der Augenzeuge, der Meister Manfred, hat mir davon nichts berichtet. Da waren nur einfache Menschen dabei, Buchhändler und sonstige Bekannte und ein paar Berliner FS-Angehörige und Familienangehörige, die IHN kannten. Ein Fels zur Erinnerung an den Grossmeister Eugen Grosche."[25]
Am 2.3.1964 meldete sich Hermann Joseph Metzger vom Schweizer O.T.O. bei Frau Berndt. Der Schweizer O.T.O. sei, so Metzger, der "Mutterorden aller Thelemabewegungen [...] über das literarische Erbe von Meister Therion [Aleister Crowley] zu wachen [...] den Weg [zu] weisen und auf Missverständnisse aufmerksam [zu] machen." Dazu habe er die "Autorisation, die Grundlagen und auch die Beweise."
Metzger beklagte sich im selben Schreiben über den "Diebstahl geistigen Eigentums."[26] Das Titelblatt eines Prospektes für Grosches Buchantiquariat weise ein Bild auf, dessen Original im Archiv des Schweizer O.T.O. liege.[27]
Derart grob auftretend wurde Metzger ignoriert, so wie er selber 13 Jahre zuvor Grosche ignoriert hatte.[28]
Diese Szene zeigt exemplarisch, wie sich die verschiedenen "Mutterorden" gegenseitig als illegitim behandeln — jeder beansprucht das letzte Wort über Crowley und Gregorius, und alle ignorieren einander, sobald der eigene Legitimationsradius erreicht ist.
Der Tod des Logengründers stellte die Mitglieder vor dasselbe Problem, das jeweils auch in O.T.O.-Gruppen auftauchte, sobald ein Oberhaupt starb: In welcher Form konnte die Gruppe weitergeführt werden — als geistiges Gebilde mit einem charismatischen Führer oder als weltlicher, juristischer Verein? Im Laufe der folgenden Jahrzehnte sollten sich beide Varianten herausbilden, sich immer wieder kreuzen, zeitweise verschmelzen und dann wieder voneinander distanzieren. Gerade daran wird die doppelte Struktur der F.S. sichtbar: einerseits der Anspruch auf eine geistige Loge, die sich einem Egregor und der persönlichen Einsetzung durch Gregorius verdankt; andererseits der nüchterne Vereinsrahmen mit Vorstand, Registereinträgen und Satzungen.
Auf diese Doppelstruktur stützt sich Maikowskis Selbstdeutung. Einerseits gibt es den weltlichen Verein mit Satzung, Registereintrag und wechselnden Vorsitzenden. Andererseits gibt es für ihn eine "geistige Loge F.S." jenseits von Vereinsrecht und Mehrheitsbeschlüssen, aber mit unsichtbarer Traditionslinie. So kann er zugleich den "Tod" bzw. die Auflösung der alten F.S. als juristische Organisation postulieren und dennoch behaupten, "niemals ausgetreten" zu sein. In seiner Logik bezieht sich der geschworene Treueeid auf die geistige, nicht auf die vereinsrechtliche Form. Auf diese Weise wird der eigene Austritt aus der "alten F.S." rhetorisch unsichtbar gemacht.
Diese Doppelcodierung von Autorität ist funktional. Der Verein der jeweiligen Gegenseite wird als blosser Verwaltungskörper abgewertet. Die eigene Person und Linie erscheint dagegen als Träger einer unsichtbaren, aber übergeordneten Legitimation. Gerade dadurch lassen sich spätere Neugründungen und Umbenennungen nicht als Bruch, sondern als "Fortsetzung" derselben geistigen Loge deklarieren. Das gilt etwa für die 1993 gegründete Communitas Saturni oder für die ebenfalls 1993 gegründete Grossloge Gregor A. Gregorius der FS in Kaiserslautern ("GAG"), die 2003 mit der Berliner Fraternitas Saturni fusionierte Und es gilt unabhängig davon, wie die Vereinsregistereinträge grad jeweils lauten.
Am 23.3.1964 gab die Gruppe um Maikowski (so auch Englert) ihren Standpunkt zur F.S. bekannt. "Die alte Fraternitas Saturni ist tot, ist mit ihrem Grossmeister Gregor A. Gregorius gestorben. […] Mit Leuten, die mit dem Messer auf ihren Grossmeister losgegangen sind, die ihn hintergangen, belogen und betrogen haben, wollen wir nichts zu tun haben. Sie sind unwürdig, einer Loge anzugehören! Mit diesen brechen wir jede Gemeinschaft ab. Wenn Unwürdige Ostern eine neue Fraternitas Saturni aufmachen wollen, so hat diese mit der alten Fraternitas Saturni nichts zu tun, und wir wollen damit auch nichts zu tun haben. Die Arbeit des Grossmeisters Gregor A. Gregorius aber werden w i r fortsetzen!"[29]
Und so wurde im Bericht über die Tagung der Grossloge am 28. März 1964 der Austritt von Maikowski, Englert[30] und drei weiteren Mitgliedern bekannt gegeben. Der Eintrag im Vereinsregister der Fraternitas Saturni e.V. in Frankfurt blieb jedoch bestehen.
Unter Ausschluss der Frankfurter Mitglieder wurde nun an der Osterloge am 28./30. März 1964 Grosches ehemalige rechte Hand Margarete Berndt (Roxane) durch geheime Wahl und Kugelung inthronisiert,[31] sie selbst zusätzlich am 3.6.1964 als Vorsitzende ins Vereinsregister eingetragen.
Das Konzilium beschloss ebenfalls, die bisherige Regelung im Logengesetz bezüglich der Amtsdauer des Grossmeisters zu ändern. Dessen Amtszeit beschränkte sich von nun an auf neun Jahre.[32] Ebenso wurden Änderungen bei den Anforderungen für den 18° vorgenommen.[33]
Um sich von Maikowski abzugrenzen, mussten alle vor Ostern 1964 eingetretenen Mitglieder erneut ihre Mitgliedschaft schriftlich bestätigen.[34]
Aus der Sicht Maikowskis stellte sich das so dar: "Im Januar 1964 starb der Grossmeister GREGORIUS plötzlich und unerwartet. Nach dem Tode von GREGORIUS kam es zu einer Spaltung der 'LOGE FRATERNITAS SATURNI'. Die westdeutschen Meister [Frankfurt] wählten 1964 den Meister und Ritter IMMANUEL [also Maikowski] zum Grossmeister der LOGE FRATERNITAS SATURNI. Die ostdeutschen Meister [Berlin?] wählten 1964 Schwester Meister ROXANE (12.°) zum Grossmeister der LOGE FRATERNITAS SATURNI."[35]
Erneut lassen sich die zwei Modi der Nachfolge deutlich unterscheiden: auf der einen Seite das Modell einer charismatisch-sakralen Designation im kleinen Kreis (Handauflegung, mündliche Einsetzung zum Grossmeister), auf der anderen Seite die juristisch-institutionelle Legitimation über Vereinsregister, Wahlen und Satzungsänderungen. Beide Logiken laufen nicht nur parallel, sondern werden von den Beteiligten jeweils genutzt, um den Anspruch der Gegenseite als illegitim erscheinen zu lassen — je nach Bedarf beruft man sich auf den Geist oder auf das Vereinsregister. Wer sich mit den Nachfolgegeschichten im O.T.O. beschäftigt hat, weiss, wie sehr das alles vertraut klingt.
Maikowski: "Am 17.4.1965 [?][36] habe ich das Amt des GMs angenommen, als ich von Stadt Allendorf wegen Sandoz und meinem neuen Arbeitsgebiet nach Hallgarten bei Bad Kreuznach gezogen war — die Probe- und Einführungszeit bei Sandoz-Nürnberg gut überstanden und bei dieser Firma eine feste Anstellung hatte."[37] "Die Annahme meiner Wahl fand auf einem Platz vor der Firma Sandoz in Nürnberg im April 1965 statt. Über dem Platz war das Sandoz-Dreieck zu sehen. Das passte doch zu mir als Saturnisten und mag die Annahme meiner Wahl zum GM begünstigt haben?"[38]
Maikowski fand niemals Zeit, einen Vorhof zu installieren. "Mir hat es doch ausgereicht, von den westdeutschen Meistern[39] zum Grossmeister der FS auf Lebenszeit 1964 gewählt worden zu sein, ein Amt, das ich im April 1965 angenommen habe. Ein Heft pro Monat zu schreiben und an alle Mitglieder zu versenden, war schon schwierig genug."
"Und nach dem Alten damals noch unveränderten Gesetz der FS bin ich schon 1964 von 7 Meistern in Frankfurt in meiner Abwesenheit zum Grossmeister der FS auf Lebenszeit gewählt worden, ein Amt, das ich erst 1965 zu Ostern angenommen habe. Auch das Ritual meiner Inthronisation als GM fand zugleich statt; denn ich besitze natürlich alle nur möglichen Rituale. Meine Wahl zum GM entsprach dem von Gregorius geäusserten Wunsch vom Dezember 1963. 'Du wirst mein Nachfolger, Immanuel, wenn ich einmal nicht mehr bin.' Natürlich habe ich ihn getröstet, und gesagt: 'Bis dahin ist es aber noch lange hin.'"[40]
"Diese letzte Unterredung fand im Dez. 1963 im Arbeitszimmer von Gregorius statt, das zur Loge ein wenig umgestellt und geschmückt wurde. Einen Zeugen hatten wir nicht. Es war also eine mündliche Unterredung. Auf jeden Fall habe ich davon nur meiner damaligen Ehefrau Flita erzählt, sicher nicht Englert, mit dem ich nicht befreundet war, und auch sonst niemandem, da ja an den Tod von Gregorius 1963 noch niemand gedacht hat."[41]
Maikowski nahm seine Eide gegenüber der Loge ernst. Solche hatte er als Meister und als Grossmeister abgelegt. "Meine 'Ein-und Austritte' aus der FS sind ein trauriger Witz; denn als ich 1961 Meister der FS wurde, habe ich geschworen lebenszeitlich nicht mehr auszutreten. Also bin ich niemals bis heute aus der FS ausgetreten."[42] Damit meint er die geistige Loge F.S. und nicht den juristischen Verein — eine Doppeldeutigkeit, der auch er nicht immer gewachsen war.
Entsprechend sah sich Maikowski Zeit seines Lebens als Grossmeister der geistigen Loge F.S. und handelte auch so.
Seit dem Tod von Grosche spielten die Grossmeister jedoch nur eine sekundäre Rolle — insbesondere in den Auseinandersetzungen der 1970er und 1980er Jahre. Wichtiger waren die Inhaber des 33°.[43]Die Meister der Maikowskischen LOGE FRATERNITAS SATURNI kürten folgerichtig zu Ostern 1965 ihren 40-jährigen Grossmeister also auch zum 33°: "Den 33.Grad erhielt ich 1965 von den Meistern der FS-Frankfurt, damit ich alle darunter liegenden Grade verleihen konnte. Diese Grade bedeuteten zumeist überhaupt nichts, und wurden wie Orden beim Militär verliehen z.b. an Leute der Kleiderkammer: 'Was Sie haben noch keinen Orden? Ich verleihe Ihnen einen.' sagt ein Oberst."[44]
"Für mich gilt nur das alte Gesetz der FS, das mein Amt als GM und 33.° auf Lebenszeit bestätigt. […] Immerhin hat Gregorius das Gesetz unterschrieben, und für mich ist es auf alle Zeiten gültig und kann nicht mehr verändert werden."[45]
Frau Berndt, geboren am 9.7.1920, bislang wohnhaft in Berlin, begann im September 1964 zu kränkeln und musste schon nach 14 Wochen im Amt der Grossmeisterin von Wedlers Ehefrau in Bochum gepflegt werden.
Die Suche nach einem Nachfolger begann. Vorerst erfolgte die
Investitur des 54-jährigen Wedlers zum 33° auf der Osterloge, am Ostersonntag, dem 17.4.1965, mehr als ein Jahr nach Grosches Ableben — und zwar zeitgleich zu Maikowskis Erhebung in den 33° durch dessen Anhänger. Zu diesem Zeitpunkt wurde die schwerkranke Berndt bereits sieben Monate von der Familie Wedler gepflegt. Das Protokoll vom 20.4. verkündete, Wedler habe den 33° aus der Hand Berndts erhalten.[46]
Für Wedler bedeutete diese Investitur zum 33° eine faktische Aufwertung vom misstrauisch beobachteten Putschisten von 1962 zum Träger der höchsten saturnischen Autorität. Nach dem raschen Tod Roxanes — nicht einmal 45-jährig — wenige Wochen später am 8. Juni 1965 kam es zu einem Triumvirat, das die organisatorische Leitung der Loge übernahm — in der Praxis mit einem klaren Übergewicht des 33°-Trägers und Kronprätendenten Wedler: "Entgegen den Bestimmungen des Gesetzes der FRATERNITAS SATURNI wird die Wahl eines neuen Grossmeisters nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist durchgeführt, sondern auf Ostern 1966 verschoben."[47] Aus Karl Wedler, Hermann Wagner (Arminius)[48] und Willi Hauser (Fabian) bildete sich vorerst ein Triumvirat der F.S., das die organisatorische Leitung übernehmen sollte.[49] Wedler als 33° behielt jedoch das letzte Wort. Damit verschob sich das Machtzentrum der alten F.S. zunächst deutlich nach Bochum — und Wedler wurde vom angeblichen Putschisten von 1962 zum zentralen Verwalter des saturnischen Erbes.
1965 bekam Maikowski "von Sandoz das Arbeitsgebiet um Mainz und Bad Kreuznach. So zog ich nach Hallgarten bei Bad Kreuznach in ein in Hallgarten gemietetes Haus."[50]
Er hatte nichts vom Tod Berndts mitbekommen. So sandte er ihr nun am 26.8.1965 einen Brief, in dem er ihr mitteilen wollte, dass er vom verstorbenen Grosche den Auftrag erhalten habe, gemeinsam mit ihr die F.S. zu führen. "Ich schreibe heute im Auftrage von Gregor A. Gregorius, der mich soeben, von einer höheren Ebene kommend, aufgesucht hat. Er beschwört mich, mich mit Dir und der FRATERNITAS SATURNI in Verbindung zu setzen. Wir sollen nicht gegen- oder nebeneinander arbeiten, sondern miteinander für sein Lebenswerk, für die FRATERNITAS SATURNI. Man hat Euch [gemeint sind Berndt und Wedler] zu Unrecht bei uns verläumdet, um seine FS zu zerstören, und er litte darunter. Das kann ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren, denn ich verehre Gregorius und bin bereit, alles zu tun was in seinem Sinne ist: Zusammenarbeit mit ganzer Kraft wie zu seinen Lebzeiten."[51]
Maikowski schien gewillt, sich mit der konkurrierenden F.S. zu versöhnen: "In Anbetracht des Ablebens unseres verehrten Grossmeisters Gregor A. Gregorius wollen wir die gehabten Differenzen vergessen."[52] Er äusserte sogar Wedler gegenüber den Wunsch nach einer Aussprache, nachdem er ihm in einem persönlichen Brief zugegeben hatte, ihn zu Unrecht verleumdet zu haben.[53] Maikowski beantwortete jedoch Wedlers Einladung vom 26.9.1965 zu einem klärenden Gespräch nicht und führte seine Frankfurter F.S. weiter.
Aus streng beweisrechtlicher Perspektive liegt hier zunächst erstaunlich wenig vor. Die Szene vom 23.12.1963 erscheint erstmals in späten Emails Maikowskis aus den Jahren 2009 und 2011: In Schreiben vom 15.8. und 3.9.2009 berichtet er von einer letzten Unterredung im Dezember 1963 im zu einer Loge umgestellten Arbeitszimmer von Gregorius, in der dieser ihm mündlich die Nachfolge zugesprochen habe, sowie von einer anschliessenden Wahl durch sieben Meister in Frankfurt 1964 und einem Inthronisationsritual zu Ostern 1965.[40][41] 2011 werden diese Motive im Video-Interview und in weiteren Emails zu einer ausführlich auskomponierten Nachfolgeszene verdichtet. Es gibt keine zeitnahe Protokollierung, keine Unterschriften, keine schriftliche Ernennung, keine unabhängige Zeugenaussage, die getrennt davon existiert. Im Gegenteil: ein unmittelbar zeitnahes Dokument, das Schreiben vom 25.12.1963, zeigt, dass Grosche Maikowski und seine Gruppe an den Rand drängt und eine eigene Loge nur als "Vorhof" zur F.S. dulden würde.[11]
Das Beweisergebnis einer nüchternen Sichtung fällt entsprechend mager aus: Die Erzählung hätte in einem ordentlichen Verfahren minimalen Beweiswert — sie beruht auf subjektiver Erinnerung, wird Jahrzehnte nach dem behaupteten Ereignis erstmals schriftlich ausgeführt und steht in Spannung zu schriftlichen, zeitnahen Dokumenten.
Auch vereinsrechtlich sieht es für einen robusten Nachfolgeanspruch schlecht aus. Selbst wenn man grosszügig unterstellt, dass Grosche den Satz tatsächlich gesagt und die Handauflegung vollzogen hat, stellt sich die schlichte Frage: Was sagen die Satzungen der F.S. dazu? Gibt es darin ein Recht des Grossmeisters, seinen Nachfolger im Alleingang zu bestimmen, oder ist eine Wahl durch die Grossloge bzw. Mitglieder vorgesehen? Ist das Amt an bestimmte Formvorschriften gebunden — Beschluss, Protokoll, Eintragung im Register? Die F.S., wie auch der O.T.O. und ähnliche Vereine, weisen ja eine doppelte Struktur auf: hier die "geistige Loge" mit ihrem Egregor, dort der eingetragene Verein mit Satzungen, Wahlen und Amtszeitbegrenzungen. Ein Jurist würde trocken formulieren: Die Handauflegung kann maximal eine religionsinterne Geste sein, aber keine formgültige Amtsübertragung, solange die Satzung andere Verfahren vorsieht.
Hinzu kommt die Kollisionslage mit späteren Vereinsbeschlüssen. Nach Grosches Tod wird Roxane gewählt, es gibt Registereinträge, Satzungsänderungen und später andere Vorsitzende und Grossmeisterfiguren. Selbst wenn es 1963 eine informelle Zusage oder Geste gegeben hätte, wären aus juristischer Sicht die späteren formellen Beschlüsse des Vereins massgeblich — solange kein Gericht sie wegen Täuschung, Zwang oder ähnlicher Gründe aufhebt. Die Szene vom 23.12.1963 wäre damit für die Frage, wer Grossmeister des Vereins "Fraternitas Saturni e.V." ist, rechtlich weitgehend irrelevant und höchstens als parteiliche Behauptung in einem internen Machtkonflikt interessant.
Die streng juristische Lesart kommt somit zu einem Ergebnis, das der Maikowski-Erzählung diametral gegenübersteht: Die Szene besitzt kein tragfähiges Gewicht als Rechtsgrundlage für einen Nachfolgeanspruch. Entscheidend sind nicht Engel, Handauflegungen und Weihnachtsatmosphäre, sondern die nüchternen Fragen: Wer ist im Register eingetragen? Wer wurde satzungsgemäss gewählt? Welche Beschlüsse liegen vor — und welche davon haben die Runde überlebt.
Damit wird Maikowskis Weihe nicht "widerlegt". Sie wird nur in die richtige Schublade gelegt: als narrative Autoritätsproduktion, nicht als belastbare Rechtsbasis.
Aus Maikowskis Sicht verschieben Handauflegung, Knien und "Weihe" die Nachfolgefrage von der Ebene des Vereinsrechts (wer ist wahl- oder satzungsgemäss Nachfolger?) in den Bereich sakraler Autorität ("Gregorius hat mich persönlich erwählt"). In einem Umfeld, in dem Egregor- und Meistermetaphern ohnehin präsent sind, ist das funktional ausgesprochen wirksam: Gegen die Erzählung einer persönlichen, quasi-sakramentalen Einsetzung lassen sich spätere Registereinträge leicht als äusserlicher Formkram abtun.
Rechtsanwälte wurden eingeschaltet und Maikowskis Gruppe musste den Einladungen zu eigenen Logentreffen, die sie auch an die Konkurrenz geschickt hatten, eine Berichtigung nachsenden.[54]
"Tue, was Du willst, ist das ganze Gesetz!"
Ergänzende Erklärung zur Einladung zur Osterloge.
Auf Wunsch der Herren Rechtsanwälte Notar G. Täuber, G. Leipold in Bochum erklären wir, dass der Vorstand der 'Fraternitas Saturni', der Sie zur Osterloge 1966 nach Hallgarten eingeladen hat, nicht identisch ist mit dem Vorstand der 'Fraternitas Saturni' in Bochum, und dass er auch nicht wünscht, mit dieser verwechselt zu werden.
Wir waren bisher der Meinung, dass sich nach den Tode von Gregor A. Gregorius und Frl. Margarete Berndt (Mstr. Roxane) die 'Fraternitas Saturni' aufgelöst habe.
Um das Lebenswerk unseres verstorbenen Grossmeisters Gregor A. Gregorius zu erhalten, übernahmen einige von ihm ernannte und geweihte Meister der alten 'Fraternitas Saturni' die Aufgabe, die Arbeit der 'Fraternitas Saturni' fortzuführen.
Unsere 'Fraternitas Saturni' ist als Verein unter dem Namen 'Fraternitas Saturni' im Vereinsregister in Frankfurt/Main eingetragen. Der Vorstand dieses Vereins hat Sie zur Osterloge 1966 nach Hallgarten eingeladen.
Der Vorstand wird von den Ihnen von früher bekannten Meistern gebildet: Immanuel als Grossmeister, Flita als Grossinspekteur, Manfred als Grosskanzler.
Mstr. Immanuel erhielt von Gregor A. Gregorius die höchste Einweihung. Daher wurde er in Frankfurt/Main zum Grossmeister gewählt. Durch seine Einweihung ist er in der Lage, die magisch-mystische Arbeit in Sinne von Gregor A. Gregorius zu leiten und Einweihungen und Grade zu erteilen.
Wir sind junge Menschen, die bereit sind, die Logenarbeit im Geiste des
Wassermannzeitalters zu leisten. Wenn Sie mit uns mitarbeiten wollen, sind Sie uns jederzeit als Mitglieder willlkommen. Der Vorstand der 'Fraternitas
Saturni' e.V. Frankfurt/Main würde sich freuen, wenn Sie an unserer Osterloge 1966 in Hallgarten teilnehmen würden.
Mit freundlichen, brüderlichen Grüssen
gez..: GrMstr. Immanuel
i.A. Gr.Insp. Flita.
Liebe ist das Gesetz! Liebe unter Willen! Mitleidlose Liebe!"[55]
In der Schweiz witterte man erneut ein Schnäppchen. Karl Wedler erhielt am
19.7.1965 einen Brief von Metzger, der "das Schifflein, die Asche des Ordens der Saturnischen Brüder, wieder ins heimatliche Gefilde des Ordens zurück[...]führen" wollte, denn "es war uns all die Jahre eine spezielle Aufgabe, diese Bewegung zu studieren und still zu betreuen von unserem letzten OHO [Karl Germer][56] übergeben worden."[57] Metzger stellte Wedler probeweise eine V°-O.T.O.-Charta aus. Da sich dieser aber nicht bestechen liess, wurde die Charta angeblich wieder annulliert[58] — ein Detail, das zeigt, wie sehr er auch von aussen als möglicher Schlüsselspieler für die Deutung des saturnischen Erbes wahrgenommen wurde.
Metzger sah sich nun genötigt, Zirkulationsschreiben zu verschicken, in denen er düpiert behauptete, "Grosche war nie Mitglied oder Bruder des O.T.O. oder der Illuminaten." Adolf Hemberger konterte später: "legitimer Erbe Crowleys in Deutschland kann [...]
nur die FS sein," die seiner Meinung nach von Walter Englert vertreten sei.[59] Hemberger übersah dabei die Tatsache, dass Englert 1962 eingetreten, aber zusammen mit Maikowski 1964 aus dem Verein der alten F.S. ausgetreten war. Vielleicht meinte Hemberger ja etwa geistige Erben ....
Die Saturnianer hielten an Grosches Urlaubsgewohnheiten fest. "Am 11. September zelebrierte Mstr. Giovanni mit schweizer Brüdern im [sic] Castelli di Cannero eine Loge und eine Anrufung."[60]
Maikowski blieb zu Hause: "Ab 1965 habe ich mich nur mit der FS Frankfurt und der OFL beschäftigt; denn wie ich Ihnen schon schrieb, wurde ich Ostern 1964 in Abwesenheit gewählt, und der Meister Manfred, der mir davon Mitteilung machte, ging fort, weil ich um Bedenkzeit gebeten hatte. Angenommen habe ich das Amt im April 1965, nachdem ich eine feste Anstellung von Sandoz AG-Nürnberg-Basel erreicht hatte. Wie üblich habe ich pro Monat ein Din-A-4-Lehrheft herausgebracht also versendet. Und bei dem Mindestbesuch von 9 Ärzten pro Tag, den Berichten abends und dem täglichen Lernstoff blieb mir wenig Zeit. Und was die Logenarbeit angeht, so habe ich an jedem 3. Samstag im Monat das vorgeschriebene Ritual gehalten mit einem Vortrag von mir und dem in die Logenarbeit eingefügten Brudermahl von Brot und Wein.
Die Osterlogen der FS Frankfurt fanden regelmässig in dem Logenraum in meinem Haus statt."[61] "Die FS-Loge fand im 'guten Anzug' statt. Wir empfanden die Logenfeier eben als Gottesdienst, in dem wir auch immer das Brudermahl mit Brot und Wein während der Logenarbeit hielten. Das Brot auf einem Kristallteller und der Wein (oder der rote Traubensaft für Autofahrer) in einem grossen Kristallkelch. Jeder Teilnehmer erhielt wie immer ein Tellerchen und ein Glas, um davon zu essen und zu trinken. Ich als G.-Meister der FS war der erste Diener und verteilte an alle Teilnehmer Brot und Wein."
Zu Maikowskis F.S.-Gottesdienst im bürgerlichen Anzug, mit Brot und Wein statt Logenrobe und Ritualgerät:
Schon Grosche hat in seinen "Blättern für angewandte okkulte Lebenskunst" von Gottesdienst gesprochen: "In der Loge selbst, die in ihrer Installierung rein mystisch-magisch-rituellen Gottesdienst in saturnischer Färbung darstellt, wird weder Spiritismus noch Magie oder sonstige Experimente getrieben".[62] Ebenso Amenophis: "Auch die F.S. ist eine Loge und die Logenfeier ist einem Gottesdienst gleichzusetzen. Das Feierkleid oder rituelle Gewand ist der schwarzseidene Logenmantel, ohne den kein Mitglied teilnehmen dürfte."[63]
Der spezifische "F.S.-Gottesdienst im guten Anzug" mit Brot und Wein im Wohnzimmer ist Maikowskis eigene, lokale Ausprägung. Er ist kein in der F.S. allgemein normierter Ritualtyp. Die Form ist bürgerlich-kompakt: Wohnzimmer, guter Anzug, Kristallgeschirr. Dadurch wirkt die Feier wie ein Hausgottesdienst. Und genau in so einem Setting drängen sich nun gut übersichtliche Leitungs- und Würdigkeitsfragen fast von selbst auf.
Zu den Zwischenfällen mit Johannes Göggelmann, Guido Wolther und Walter Jantschik sei erneut folgende Lektüre empfohlen:
— Skandalisierung, Mythos und Dekonstruktion des Johannes Göggelmann (Saturnius) in der Fraternitas Saturni.Gerade an der Figur Guido Wolther wird Wedlers ambivalente Rolle noch einmal deutlich: In den Jahren 1964-1966 betreute er den jungen Chemiker mit einer dichten Briefkorrespondenz, führte ihn in sexualmagische Themen ein, schickte ihm Stellenanzeigen aus Fachzeitschriften und versuchte sogar, ihm im Ruhrgebiet eine Wohnung mit Ladenlokal "für Dein Labor" zu organisieren. Derselbe Wedler, der in Maikowskis Erinnerung als Putschist und Messerträger erscheint, agiert hier zugleich als fürsorglicher Mentor und logistischer Organisator.
Maikowski fand 1970 "ein Haus in der Winzenheimer Höhe, einem Ortsteil von Bad Kreuznach. 1975 musste ich aus gesundheitlichen Gründen bei Sandoz aufhören,[64] und zog 1976 nach Kaiserslautern, weil meine Frau unbedingt da wohnen wollte."[65]
"Herr Wicha war Freimaurer, den ich in Unkenntnis seiner Mitgliedschaft in die FS aufgenommen habe, und nach Ablauf der Frist und den entsprechenden Meisterarbeiten zum Meister geweiht habe. Er spricht korrektes Deutsch und stammt aus Polen und hat mir glaubhafte Papiere gezeigt, auf denen er als Dipl.Ing. mit Vollstudium ausgewiesen ist. Er hatte in Frankfurt/Diefenbach ein Ing.büro nach dem Krieg eröffnet, das beim Nachlassen des Baubooms insolvent geworden ist. Glücklicherweise hatte Wicha rechtzeitig eine Prüfung als Heilpraktiker in Westdeutschland abgelegt, und hatte sich nun in Frankfurt als Heilpraktiker niedergelassen, Schwerpunkt war wohl sein Arbeiten mit der Elektroakupunktur. Stolz hat er mir als Dr.med.dent seine Praxis vorgeführt. Und hatte wirklich sehr gute med. Kenntnisse.[66]
Wicha war GM von Wedlers Gnaden. Sein 'Verdienst' ist, dass er alle bisherigen Fratres ohne jede Prüfung zu Meistern ernannt hat.
Für seine Ausspähung der FS erhielt er von seiner Freimaurerloge in Frankfurt den 45°. Da es dort 99 Grade gibt, entsprach diese Ehrung nur dem 15.° der FS.
Seine langjährige Lebensgefährtin Schw. Renate starb an Krebs, und Wicha hat wohl sehr darunter gelitten, dass er ihr nicht hat helfen können.
Herr Wicha: ein gross gewachsener sehr höflicher Mann mit sehr gutem Benehmen, vor allem den Damen gegenüber. Kurz: Alte Schule!"[67] "Wicha hatte immer eine sehr vornehme Art vor allem gegenüber von Frauen; denn ein gesellschaftlich korrekter Handkuss bei den Damen war für ihn selbstverständlich."[68]
"Wicha, ein sehr gütiger und liebevoller und hoch intelligenter Mensch, wenn ich das in meiner Erinnerung so sagen darf?"[69]
"Wicha hat der FS nur geschadet, und das Amt des GM von dem des Vorsitzenden getrennt. Das bezog sich auf ihn selbst; denn er konnte nicht genug Deutsch, um einen deutschen Verein führen zu können. Daher wollte er eben nur GM und nicht Vorsitzender sein. Das ist sicher kein Verdienst, sondern das Gegenteil von Wicha, das noch bis 1983 gewirkt hat. Die FM haben ihn mit dem 45.° für die Ausspähunge der FS belohnt. Das
Regime von Wicha habe ich überhaupt nicht beachtet; denn ein eingesetzter GM war eben keiner für mich, der ich auf Lebenzeit nach dem Alten Gesetz gewählt war. Übrigens habe ich in dem Alten Gesetz nachgesehen. Bei den Meistern, die das Gesetz unterschrieben haben, ist Giovanni ja gar nicht dabei!"[70]
Was Maikowski wahrscheinlich meinte: "Die Trennung von GM- und Vorsitzenden-Amt war kein Verdienst Wichas, sondern ein Fehler, dessen Folgen die F.S. noch bis 1983 belastet haben." Dass das im Original so verquollen klingt ("das Gegenteil von Wicha, das noch bis 1983 gewirkt hat") ist einfach typisch Maikowski: assoziativ, leicht grammatikbrüchig, aber inhaltlich eindeutig auf die von Wicha eingeführte Ämtertrennung gemünzt.
QUICK 11, Hamburg 8. März 1973, 72-75. Horst Knaut, Die Satansmörder
Wicha hatte das Pech, in den 1970er Jahren eine Loge inmitten eines medialen Gewitters zu führen (dazu gleich mehr). Er startete Werbeaktionen in esoterischen Zeitschriften. Aber als Folge des Aufruhrs in den Medien (ausgelöst durch Adolf Hemberger und Horst Knaut) und da sich seine Logenarbeit darauf beschränkte, bloss umfangreiche Sonderdrucke über diverse magische Arbeiten und religiöse Sondergruppen herauszugeben, stagnierte die F.S.[71] An der Osterloge 1977 wurde er deshalb in Abwesenheit "wegen Vernachlässigung seines Amtes einstimmig von seinem Posten abgewählt." Der neue Grossmeister hiess Joachim Müller (Horus).[72] Wicha akzeptierte seine Abwahl nicht und rückte mit den Logenunterlagen, wie zum Beispiel dem Brustschmuck Grosches,[73] nicht heraus. Maikowski: "Von einer Wahl von Wicha noch von seiner Abwahl bin ich nicht in Kenntnis gesetzt worden. Ich war weder mit dieser angeblichen Wahl noch mit einer Abwahl einverstanden. Das ist doch lächerlich, wenn i c h mich doch als der einzige GM fühle?"[74] Offiziell meinte man, Maikowski sei trotz siebenjähriger Abwesenheit ja noch immer Mitglied der Loge und des von Wicha 1972 gegründeten dahinter stehenden Ordo Saturni als Meisterkreis der F.S.[75]
Dasselbe Muster variiert also: fragile Institution, diffuse Kompetenzen, Autorität als Mischung aus Gesetz, Person, Erzählung — und als Zugriff auf Dinge. Stanislaus W. Wicha erscheint als Grossmeister "von Wedlers Gnaden"; Maikowski beschreibt ihn zugleich als "Alte Schule" (Handkuss) und als schädliche Figur, die GM- und Vorsitzendenamt trennt. In den 1970ern gerät die Loge in ein mediales Gewitter; Wahlen, Abwahlen, Anerkennungen, Ausschlüsse werden umkämpft — und Unterlagen/Insignien bleiben gerne dort, wo sie gerade liegen. Maikowski schwankt zwischen offizieller Randstellung und dem insistierenden Gefühl: "wenn ich mich doch als der einzige GM fühle?"
Das Rundschreiben 2/78 vom 15.4.1978 teilte den circa fünfzig Mitgliedern der F.S. mit, dass auf einer Tagung vor dem anschließenden Konzilium am 24. März beschlossen worden sei, Maikowski sei zwar seit einigen Jahren ausgetreten, aber auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin als Meister weiterhin zur Teilnahme an den Treffen berechtigt und sogar wieder in den Kreis der stimmberechtigten Mitglieder eingegliedert.[76] Die plötzliche Akzeptanz erklärte sich einfach: Maikowski hatte Wicha erfolgreich den Brustschmuck Grosches abgenommen.[77] Wicha "hatte Br ...Immanuel [Maikowski] Hoffnung gemacht, daß er das Amt des Großmeisters übernehmen könne! Br ...Immanuel betonte mehrfach, daß er von Br ...Andrzey [Wicha] falsch unterrichtet gewesen sei."
Als weiteren Höhepunkt des Logentreffens eröffnete man den Mitgliedern, dass auch die originale GOTOS-Büste zusammen mit dem Szepter via Dieter Heikaus (der von Maikowski den Namen Honorius erhalten hatte und dessen Logenraum in Ankum von Maikowski erleuchtet worden war) wieder der Loge zugeführt worden sei, was "unter den Anwesenden einen Sturm der Begeisterung" ausgelöst habe. Und gleich wurde ein paar Meistern der 18° verliehen.[78]
Die Habgier um Brustschmuck, portable GOTOS-Büste und Szepter zeigt, dass materielle Insignien fast wichtiger sind als Gesetzestexte — ein Muster, das sich schon unter dem ehemaligen Grossmeister Guido Wolther abgezeichnet hatte, als auch er diese Stücke nach seinem Ausscheiden nicht mehr herausgeben wollte.[79] Die urbane Legende, wonach der spätere Oscar-Preisträger und Schöpfer des legendären Alien-Designs, Hansruedi Giger, diese GOTOS-Büste (oder eine Kopie davon) in einen Fluss geworfen haben soll, lädt den Mythos um diesen Gegenstand natürlich zusätzlich auf.
Neben Graden, Gesetzen und Titeln spielt in diesen Auseinandersetzungen ein regelrechtes Objektregime eine zentrale Rolle, das die Ding-Symbolik esoterischer Orden und Logen in reliquienartiger Form bündelt: Die Kopiermaschine, das Exorial-Manuskript (das Hermann Joseph Metzger nicht mehr zurück gab), später
bei Guido Wolther die Logenakten in Hotels, der Brustschmuck, die GOTOS-Büste, das Szepter und später auch ganze Räume (Wohnung, Logenhaus, Garage) fungieren als verdichtete Träger von Zugehörigkeit und Deutungsmacht. Wer diese Dinge besitzt oder kontrolliert, kann sich als faktische Fortsetzung der Loge inszenieren — unabhängig davon, wie Satzungen oder Patente formuliert sind. Streitigkeiten um Eigentum, Rückgabe oder Verbleib dieser Objekte sind daher nie nur materielle Nebenfront, sondern symbolische Kämpfe darum, wer "wirklich" die Fraternitas Saturni ist und wer nur so tut. In diesem Sinne sind die Insignien und Räume nicht bloss Requisiten eines ohnehin entschiedenen Machtkampfs, sondern aktive Medien, über die sich Autorität überhaupt erst verkörpert, verteilt und verschoben hat. Wenn die Rechtslage dünn ist, braucht Autorität andere Träger. Deshalb übernehmen Dinge genau diese Funktion: sie werden zu transportablen Beweisen, weil sie sich anfassen lassen
Umgekehrt könnte man auch argumentieren, dass in einer Szene, die ohnehin arm an stabilen Institutionen ist, ein paar wenige Gegenstände zwangsläufig überfrachtet sind (Emotionalisierung, Erinnerungswert). Wichtig werden sie, weil die Personen wichtig sind, nicht umgekehrt.
Die Euphorie ebbte langsam ab. Maikowski: "Müller so farblos, dass ich mich fast nicht an ihn erinnere. Eigentlich ist 'farblos' das falsche Wort; denn er schien böse und schwarz zu sein, wenigstens zu schwarz, um von mir geändert zu werden. Ich habe ihn, glaube ich, schon in Berlin so kennen gelernt."[80]
Der Enthusiasmus der Logenmitglieder unter Müller hielt sich in Grenzen. Wilhelm Uhlhart, seit 1953 Mitglied der F.S. und, später nach Conrads Rücktritt Ende November 1982, kommissarisch im höchsten Amt (also als Übergangslösung, nicht als regulär gewählter Grossmeister), gab sich redlich Mühe: "Nun die Altmeister, die meisten von denen taten gar nichts bis auf einige, die sich wirklich einsetzten Fahrtkosten und Zeit und auch Mühe nicht scheuten. Z.B. Mstr. Gudrun hatte schwere familiäre Probleme kam trotzdem alle Monate [von Nürnberg] nach Günzburg [wo Uhlhart, Logenname Wilhelm, wohnte] für Logenarbeiten und um Ihren 19 Grad zu erarbeiten. Dann Mstr Isola[81] kam alle 2 Monate von München nach Günzburg um Astrologie zu studieren, und es war nicht Ihre starke Seite. Sie spendete einmal 1000Dm für die Logenbestuhlung( wurde Ihr schlecht gedankt) dann der Magister Templarius Mstr. Reinhold kam alle 14 Tage zu mir (er war von Ulm) rauchte 5Zigarren und trank eine Kaffee kanne schwarz leer.Mstr. Daniela kam von Hanau, Von mir will ich gar nicht reden.Ich machte mal eine Aufstellung wohin ich überall fuhr um Neuzugänge zu Be-urteilen---Bis nach Wien die Nacht durch kam früh um 7Uhr an und stand dann mit dem zu beurteilenden Bruder eine ( 1stunde) im zugigen Hausgang um dann unverrichtender Sache übernächtig und hungrig heimzufahren, weil ich zu sparsam war etwas zu essen und in eine Wirtschaft zu gehen. Zur gleichen Zeit wurde die Mstr.Daniella telefonisch und schriftlich vom damaligen G.M.Horus [Joachim Müller] beschimpft weil Sie keine elektrische Schreibmaschine hatte. Dann hiess es auf einmal Mstr. Wilhelm Du brauchst nicht mehr zu fahren, denn alles wird jetzt zentral geleitet. Man sieht man sah es….."[82]
Nach anderthalb Jahren im Amt trat Müller im Herbst 1978 als Grossmeister zurück.[83]
Am 27. Oktober 1978 wurde sein Nachfolger Dipl. oec. Heinz Conrad (Drakon) aus Sindelfingen einstimmig von den acht stimmberechtigten Mitgliedern, darunter laut Rundschreiben auch Maikowski, zum neuen Grossmeister gewählt. Die Amtsdauer des jeweiligen Grossmeisters wurde ab sofort auf drei Jahre beschränkt. Man schloss Wicha offiziell aus und einstimmig legte man fest, dass auch Guido Wolther kein Mitglied mehr sei. Laut Rundschreiben eröffnete Maikowski, der nun seit 10 Jahren erstmals wieder an einem Logentreffen teilnahm, den Anwesenden, er beanspruche den 33° nicht mehr.[84] Sein 12° und der 18° blieben jedoch anerkannt. Im Nachhinein bezweifelte Maikowski aber, an diesem Konzilium teilgenommen zu haben: "Ein Konzilium, das einstimmig den Ausschluss des Bruders und Meisters Andrzey beschlossen hat, kann nicht stattgefunden haben; denn ich hätte meinen Freund Wicha doch niemals aus der FS ausgeschlossen. Sein Verhalten war auch in der FS immer korrekt."[85]
Das Konzilium entschied ebenfalls, "dass [Wichas] Magna Charta [zur Gründung des Ordo Saturni] und der damit zusammenhängende Ordo Saturni für die Gesamtloge nie verbindlich gewesen ist und dass sie [die Magna Charta] durch eine Kompetenzüberschreitung des damaligen GM und im Widerspruch zum Logengesetz entstanden ist."[86]
Der Begriff Ordo Saturni tauchte bald im Blickfeld der Öffentlichkeit auf: Ulla von Bernus als selbsternannte "Satanspriesterin" mit anthroposophischem Hintergrund, pressetauglichem Spektakel und juristischen Kontroversen riss Heikaus und seinen Ordo Saturni in den 1980er Jahren gleich mit ins Rampenlicht. Es war die Zeit, in der in Deutschland Sektenjäger, Experten und der Boulevard im religiös-ethnologischen Untergrund des Abendlandes wühlten. In den USA brach ungefähr zeitgleich die "Satanic Panic" aus. Bizarre Verschwörungstheorien jagten einander in schneller Folge.[87]
Nachdem der Journalist Horst Knaut am 10. März 1979 Conrad um ein Manuskript für ein weiteres geplantes Buch über Geheimorganisationen gebeten hatte,[88] erkundigte sich dieser am 3. Oktober 1979 in seinem Meisterkreis, ob die von Knaut erhobenen Behauptungen stimmen könnten und ob die Fotografien echt seien. Gemeint waren jene Bilder und Schilderungen, die Knaut in seinem Werk "Das Testament des Bösen" (Stuttgart 1979) veröffentlicht hatte: Kapuzen mit Augenschlitzen, Bisexualität und Sadomasochismus in der F.S. [89] Conrad schien entgangen zu sein, dass dasselbe Foto bereits 1974 in "QUICK", Nummer 20, erschienen war, wo man die Ereignisse um Walter Jantschik nachzukonstruieren versucht hatte. Am 6.5.1970 erschoss nämlich das Fraternitas-Saturni-Mitglied Paul-Günther Diefenthal (Thomas) (Mitglied seit dem 5.4.1969) im "Auftrag Baphomets" Jantschiks Schwager, den Bauarbeiter Josef Göttler.
Gerade diese fast trotzig vorgetragene Ahnungslosigkeit gegenüber "sexuellen Skandalen" und "Drogen" verweist weniger auf einen reinen Informationsmangel als auf eine sehr wirksame innere Ordnung dessen, was überhaupt als wirklich geschehen gelten darf.
Das Stigma ist nicht nur Begleitlärm, sondern ein externer Erzählraum, den die Loge nicht einmal selbst bauen muss. Moralpanik, Gegnerprosa und Journalismus liefern die dramaturgische Kulisse ("Sex", "Drogen", "Unterwelt") frei Haus — und damit genau jene Zone, in die sich alles Unpassende bequem auslagern lässt. Innen bleibt der bürokratische Kern unangetastet: Arbeitskreis, Protokoll, Ämter, Chronik. Aussen dagegen darf es rumpeln und scheppern, ohne dass es je verifiziert werden muss. So entstehen zwei sauber getrennte Sphären, die einander stabilisieren: Der Skandal nährt die Aura, und die Amtsform schützt die Organisation. Wer beitritt, kauft daher oft nicht primär Inhalte, sondern eine Funktionsarchitektur: aufregende Zuschreibung nach aussen, gepflegte Selbstbeschreibung nach innen — und dazwischen die jederzeit abrufbare Formel des Nichtwissens. In diesem Sinn wird Stigma zum Fetisch nicht trotz, sondern wegen seiner Unschärfe: Es erzeugt Distinktion, während die internen Verfahren zugleich garantieren, dass alles Wesentliche "nie stattgefunden" hat (vgl. Stigma als Fetisch).
Das saturnische Material insgesamt zeigt, wie ein bürokratisch-vereinsmässig organisierter Logenkörper seine eigenen Grenzbereiche — Sexualmagie, Gift, Unterwelt-Rituale, visionäre Exzesse (falls man Maikowskis Katharismus so nennen will), totalisierende Licht-Systeme — konsequent auslagert: in wenige exponierte Figuren, in symbolische Objekte und in erzählerische Räume. Was nicht zur gepflegten Selbstbeschreibung als seriösem "Arbeitskreis" passt, wird in Romane, systematische Entwürfe, dämonisierte Einzelne oder in die Außenperspektive von Journalisten, Staatsanwälten und Gegnern verschoben. Die offiziellen Chroniken, Nachfolgeformeln und Protokolle erscheinen so als ein Gefüge von Verfahren, das zugleich Archiv, Schutzmauer und Filter bildet: Sie erlauben, sich mit guten Gründen auf jahrzehntelange Zugehörigkeit zu berufen — und dennoch überzeugt zu erklären, von all dem nichts gewusst zu haben.
Im Rückblick entsteht damit das Bild einer Gruppe, in der die alten Rituale zunehmend durch Erzählakte ersetzt werden und Kopiermaschinen, Büsten, Höhlen, Kristalltempel und Briefkonvolute die Funktion "aufgeladener Objekte" übernehmen, an denen sich die unauflösbaren Widersprüche einer zerfasernden Logenautorität entzünden. Die Fraternitas Saturni ist aus dieser Perspektive weniger über ihre Lehrinhalte zu fassen. Entscheidender ist das Zusammenspiel von Protokollen, Registerpapier, Skandalisierungen und symbolischen Objekten. Damit werden Phantasien, Begehren, Angst und Exzess immer wieder neu eingefangen, umcodiert und weitergereicht. Dass langjährige Mitglieder sich dabei selbst als unbeteiligte Beobachter eines im Grunde harmlosen Räucherwerks erleben konnten, ist kein Nebeneffekt, sondern integraler Bestandteil eben jener Ordnung, die den saturnischen Mythos bis in die Gegenwart hinein zusammenhält.
[1] Faksimile der entsprechenden Briefe in: König, Saturni, Seiten 288-302.
[2] So Karl Wedler in seinem Brief an Eugen Grosche vom 19.12.1963. Faksimile in: König, Saturni, 300-301.
[3] Wedler an Grosche, Brief am 19.12.1963. Faksimile in: König, Saturni, 300-301.
[4] Grosche an Wedler, Brief am 22.12.1963. Faksimile in: König, Saturni, 362.
[5] Maikowski an Grosche, 16.12.1963. Faksimile in: König, Saturni, 298-299. Die Rituale habe "ich natürlich schon bei der Gründung im Jahre 1961 geschrieben, immer drei für den Mstr.v.St. und die beiden Aufseher je ein Ritual und die Einweihungsrituale.. Statt Saturnus enthielten sie eben das göttliche Licht. Daher hiess die Vereinigung doch: 'Ordensloge Fraternitas Luminis'." Maikowski, Email vom 15.11.2009.
[6] Grosche an Wedler, Brief am 22.12.1963. Faksimile in: König, Saturni, 302.
[7] Auf meine Frage hin, ob Maikowski Grosche nach den Namen dieser Putschisten gefragt habe: "An wen von seinen Feinden Gregorius damals gedacht hat, den ich zu befürchten haben würde, weiss ich nicht. Und ich habe ihn auch danach nicht befragt; denn in diesem feierlichsten Moment der höchsten Weihe war mir nicht danach zumute, irgend etwas zu fragen. So nahm ich auch meine Graderhebung in den 30.° eines Ritter Cadosch hin, den wir damals ganz falsch unter uns als den 'Grad des Henkers' bezeichneten. Damals erschien mir diese Ernennung als eine schwere Bürde. Als dann eines Tages der Freimaurermeister Wicha alias Meister Andrey die Grossmeisterwürde der FS übernahm, holte er Giovanni und alle von Gregorius heraus geworfenen Schwestern und Brüder als Freimaurer wieder in die FS hinein. […] Lieber Herr Koenig, wenn Sie katholisch wären und würden vor dem Papst knien, und er würde Ihnen die höchste Weihe erteilen, was würden denn Sie ihn dabei und danach, wenn er mit Ihnen gerade spräche, fragen? Für mich aber stand Gregor A. Gregorius über jedem Papst. Er war für mich doch damals das höchste Wesen, gleich unter Saturnus-Gott, dem Schöpfer. Herr Koenig würde Ihnen da nicht auch die Sprache abhanden gekommen sein? Hätten Sie etwas gefragt, oder hätten Sie bescheiden gewartet, bis der Erhabene Ihnen das Wichtigste gesagt hätte? So habe ich IHN auch niemals in meinem Leben 'Grosche' genannt, sondern ich habe ihn mit Sie und Grossmeister Gregorius angesprochen, und erst nach dem Putsch durfte ich ihn einfach Gregorius nennen und duzen. Gregorius hat mir ja alles gesagt, was ich wissen musste. Es gab für mich niemals einen Grund, ihn irgendetwas zu fragen. Scheinbar wussten Sie bisher nicht, wer Gregorius überhaupt war, - ein Erhabener, einer der grossen Wegweiser der Menschheit. Ehre seinem Andenken!" Zwei Emails vom 5.5.2011.
[8] "Nun aber stand er vor mir, der ich auf einem Sessel sass, und breitete die Hände schalenförmig mit gespreizten Fingern aus, was ich heute noch vor mir sehe, und da habe ich mich vor ihn hingekniet, und er hat mich mit seinen Händen auf meinem Kopf geweiht," Email vom 24.7.2011.
[9] Maikowski, zwei Emails vom 4.5.2011.
[10] Rundschreiben Maikowskis: "Die kurzgefasste Geschichte der ADEPTEN-GROSSLOGE TETRAGRAMMATON für Schwestern und Brüder der FRATERNITAS SATURNUS der GESCHWISTERSCHAFT des SATURNUS in Kaiserslautern, des SCHÖPFERS des WELTALLS - aus SICH selbst mit seinen 200 Milliarden Galaxien mit allen auf den Planeten lebenden Geschöpfen. Die Geschichte als RUNDSCHREIBEN 4/2000 von GROSSMEISTER IMMANUEL (33.°)". 15.4.2000. Faksimile in König, Homunculi, 370-373.
[11] Faksimile in: König, Saturni, 303-305. Dazu Maikowski: "Was ein Schreiben von Gregorius angeht, das offensichtlich in Ihrem Besitz ist, Herr König, so ist es wohl eine Fälschung? Ende 1963 weiht mich Gregorius in Berlin zum Ritter der FS durch Handauflegung und Ritterschlag mit dem Logenschwert. Da ich von ihm lebenszeitlich verpflichtet worden war, soll er mir den Austritt empfohlen haben? Und das, Herr König, können Sie glauben?" Email vom 29.7.2009. Und er begründet dies mit seiner eigenen Logik der Ereignisabfolge: "Sie schicken mir da heute einen Brief von Gregorius, von dem ich bisher überhaupt nichts gewusst habe. Woher haben Sie ihn eigentlich? Tut nichts zur Sache. Im Übrigen kann auch dieser Brief eine Fälschung sein, die möglicherweise von Giovanni (Wedler) selbst im Januar 1964 nach dem Tod von Gregorius, also vordatiert, auf der Schreibmaschine von Gregorius geschrieben worden ist. Warum hätte mir Gregorius solche Unsinnigkeiten schreiben sollen, da wir uns doch gerade im Dezember so ausführlich vor und nach meiner Weihe unterhalten hatten? Soll ich mich Ihnen, Herr König, nun rechtfertigen und diese Sinnlosigkeiten widerlegen?" Email vom 30.7.2009. "Der sog. Brief, den Sie mir mitgeschickt haben, kann also auf keinen Fall von Gregorius stammen; seltsam, dass Lügen geglaubt werden. Solche Sinnlosigkeiten kann Gregorius nicht geschrieben haben. Und einen solchen Brief habe ich auch niemals erhalten." Email vom 30.9.2009.
[12] Wilhelm Uhlhart an A. Höllein, 30.12.2000.
[13] Maikowski, Email vom 31.7.2009.
[14] Maikowski, Email vom 6.8.2009.
[15] Maikowski, Email vom 8.8.2009.
[16] Maikowski, Email vom 6.8.2009. Zwischendurch war er dermassen aufgewühlt, dass er sogar vermutete, Frau Berndt sei eine Tochter Grosches gewesen; er nahm dessen Bemerkung nämlich wörtlich: "Zu mir hat er [Grosche] damals, 1963, in Gegenwart von Roxane gesagt: 'Das ist meine Tochter Roxane'". Maikowski, Email vom 9.11.2009. Maikowski meinte, ein angebliches Liebesverhältnis zwischen Wedler und Berndt hätte die Fronten ihm gegenüber verhärtet.
In der obigen Erinnerungsschilderung vom 23.12.1963 unterstellt Maikowski Karl Wedler, er habe einem Mädchen unter den Rock gegriffen; eine unabhängige Bestätigung dieser Szene existiert nicht. An anderer Stelle lässt er Wedler in einem Ritual seine Genitalien in einen Kelch halten (Email vom 4.8.2009). Diese schwer nachprüfbaren Vorwürfe gehören offenkundig zu seiner nachträglichen Dämonisierung Wedlers; die zweite Episode wird hier aus Platzgründen nur kurz wiedergegeben: "Da ich nun sah, dass Herr W. etwas anderes aus der Hose in den Kelch tat als Blut, stürmte ich in den Raum, riss dem Herrn W. den Kelch fort, rief: 'Du Schwein!' und goss den Kelch samt dem Wein vor der Haustür aus. An mir vorbei stürmte der Herr W. und rannte die Strasse hinunter, die vom Herrenwald zum Bahnhof von Stadt Allendorf führte." "Giovanni hat nicht masturbiert, sondern nur seinen Penis in den Kelch gehalten." (Maikowski, Email vom 3.8.2009). Gerade durch diese Präzisierungen wird Maikowskis Hang zur Diffamierung noch offensichtlicher: Er kann dieselben Motive immer wieder variieren und wiederholen.
Maikowski, der sich andernorts als Maler und Autor inszeniert, verfasst 1998 einen pornographischen Science-Fiction-Roman, in dessen Zentrum explizite Sexualszenarien mit minderjährigen Mädchen beschrieben werden. Weniger detaillierte Passagen sind im Kontext seines Katharismus nachzulesen. Bei Maikowski wird Sexualität, insbesondere "unfruchtbare", als heiliger, lichtbringender Akt verstanden; ebenso Sex mit Prostituierten, sogar Orgasmuszwang unter Zwangsprostitution. Unfruchtbarer Inzest sei ideal, fördere magische Fähigkeiten; Sperma werde in "Omegazellen" verwandelt, die Macht und Licht schenken. Ein Beispiel: Das "Begatten" eines sterbenden, krebskranken Mädchens durch den Protagonisten, das ihr Leben rette und zur Gottwerdung führe, denn Sperma habe besondere Heilwirkung.
Stilistisch wirkt der Roman wie eine ermüdende, ins Grand-Guignolhafte übersteigerte Variante der mechanischsten Passagen de Sades, mit einem ausufernden Inventar pädophiler und gewaltpornographischer Szenarien. Der Text lässt sich produktiv als theoretisierende Selbstdeutung seiner mal katharisch, mal saturnisch gerahmten Lebenspraxis lesen, die sperma-gnostische Praktiken und gesellschaftliche Tabuzonen in einem eigenen Symbolhaushalt bündelt. Vor diesem Hintergrund erhalten auch seine Angriffe auf Wedler einen zusätzlichen Ton: weniger als moralische Intervention, sondern als Versuch, im inneren Feld der F.S. symbolisches Kapital zu verschieben, indem "Unreinheit" narrativ an die Gegenfigur delegiert wird. Zugleich operiert Maikowski im Umgang mit Sexualität doppelt und moralisch schwer domestizierbar: Einerseits beteiligt er sich an der Skandalisierung des Anderen, andererseits reproduziert und amplifiziert er dieselben Motive in literarisierter Form und trägt so zur internen Vermehrung der entsprechenden Diskurse bei.
Ob Maikowski dies bewusst als Strategie inszenierte, ob unbewusste Konflikte am Werk waren oder ob wir es schlicht mit Kontingenzen seines Schaffens zu tun haben, bleibt dahingestellt.
[17] ‘Marabo’, Werner Schmitz: "Der Tod des Satanspriesters", Bochum 1987, 11. Faksimile in: König, Nosferati, 249-252.
[18] Wedler an Walter Jantschik, 22.4.1964.
[19] "Verfügung 14", vom Oktober 1958.
[20] Nach dem Tode Grosches beabsichtigte die Loge nicht, "wieder ein eigenes Antiquariat einzurichten." Rundschreiben Nr. 1 vom 1. Juni 1964. Ebenso im ersten Brief Wedlers an Guido Wolther am 5.3.1964: "Unsere Loge verfügt also z.Zt. über kein Heft, das den neuen Brüdern überlassen werden könnte."
[21] "Aus dem Testament von Gregorius geht hervor, dass die Erben - Frau Grosche und Frl. Berndt - über die Publikationen frei verfügen konnten." "Juristische Stellung der FS", Rundschreiben des Grosskanzlers vom 11.5.1969. Faksimile in: König, Saturni, 375-376.
[22] Maikowski an Höllein, Brief am 1.8.1999.
[23] Maikowski an Höllein, Brief am 1.8.1999. Fettdruck im Original.
[24] Maikowski, Email vom 15.8.2009.
[25] Maikowski, Email vom 3.9.2009. Ein Detail von Grosches Grab in König, Homunculi, Seite 153.
[26] Metzger an Berndt, Brief am 2.3.1964. Abbildung in: König, Materialien zum OTO, 82-84.
[27] Vielleicht war das Bild des Künstlers Kelling auf dem Werbeprospekt für Grosches Roman "Exorial" gemeint. Der Umschlag des Buches selber stammte von Martha Funk. Obwohl Metzger das Originalmanuskript dieses "Romans eines dämonischen Wesens" nie an Grosche zurückgegeben hat, ist es Grosche trotzdem gelungen, dieses Werk 1960 in Berlin im Eigenverlag zu drucken.
[28] Der Briefwechsel zwischen Grosche und Metzger in König, Saturni, 30-87.
[29] Faksimile in König, Saturni, 310.
[30] Englert sollte bald im Umkreis von H.J. Metzgers O.T.O. aktiv werden. Die Begegnung Englerts mit Metzger ist angeblich noch "von Gregorius in's Werk gesetzt" gesetzt worden. So der Mitbegründer des Englertschen Illuminaten Ordens in Frankfurt, Paul Rüdiger Audehm, in einem Brief vom 8.7.1988.
[31] Rundbrief 4 des Konziliums der Grossloge FS.
[32] Abbildung in König, Homunculi, Seite 155.
[33] Abbildung des Entwurfs in König, Homunculi, Seite 156.
[34] Rundschreiben Nr. 4 des Konziliums über den Beschluss vom 28./30. März 1964, Faksimile in: König, Saturni, 312.
[35] Anlage zum Rundschreiben vom 15.4.2000.
[36] "1964 war ich noch bei Löwens-Pharma in Düsseldorf oder einem anderen Ort meines Arbeitsgebietes beschäftigt. Ich konnte doch meine Arbeit nicht wegen einer Privatangelegenheit verlassen. Da konnte ich doch nicht zu einem Konzilium nach Frankfurt kommen." Maikowski, Email vom 3.9.2009.
[37] Maikowski, Email vom 10.8.2009 und vom 3.9.2009.
[38] Maikowski, Email vom 3.9.2009.
[39] "Es waren also 7. An alle Namen erinnere ich mich nicht, also Meister Paulus aus Bern, Ptahhotep, Manfred, Flita, Andrzey u.an., an deren Namen ich mich nicht erinnere." Maikowski, Email vom 29.7.2009.
[40] Maikowski, Email vom 15.8.2009.
[41] Maikowski, Email vom 3.9.2009.
[42] Maikowski, Email vom 15.8.2009.
[43] Wie unbedeutend das Amt des Grossmeisters geworden war, zeigte sich darin, dass zu Ostern 1969 mit Walter Jantschik sogar ein 8°, nicht einmal ein Meistergrad, dieses Amt übertragen bekam.
[44] Maikowski, Email vom 10.8.2009.
[45] Maikowski, Email vom 2.8.2009.
[46] Protokoll auf Seite 314 und die Urkunde auf Seite 316 in: König, Saturni.
[47] Rundschreiben Nr. 5 vom 25. Juni 1965.
[48] "Er war Berufsmusiker und spielte die erste Geige beim Philharmonie-Orchester in Berlin und auch in einem Orchester der Staatsoper. Ein sehr harmonischer und hochbegabter Bruder. Und wenn Eratus [Karl Spiesberger] den 1. Aufseher im FS -Ritual gemacht hat, dann war Arminius [Hermann Wagner] immer der 2. Er hat immer treu zur FS und zu Gregorius gestanden und sich an keinem Putsch beteiligt." Maikowski, Email vom 28.10.2009.
[49] Am 21.10.1965 wurde der Bäcker- und Konditormeister Paul Neuhäuser (Janus) als neuer Vorsitzendes ins Vereinsregister eingetragen. Der Vorsitzende, der nur dem "bürgerlichen Gesetz gerecht wird," ist nicht identisch mit dem Grossmeister.
[50] Maikowski, Email vom 12.11.2009.
[51] Rundschreiben Nr. 10 vom 15. April 1966, Faksimile in: König, Saturni, 329-331. Erste Seite der Handschrift in König, Homunculi, Seite 160. Dazu Maikowski: "Die Unterstreichungen sind auf keinen Fall von mir; denn ich pflege nicht, meine Worte zu unterstreichen, ja auch nicht meine Unterschrift. Das tun doch nur Leute mit Minderwertigkeitskomplexen." Email vom 24.9.2009. "Meiner Anschaung nach ist das auch nicht meine Handschrift; denn ich habe sie mit Briefen von mir verglichen, die ich an meine Mutter in diesen Jahren geschrieben hatte. Denn ausser dem Studium der Zahnmedizin, habe ich auch Psychologie gehört und an Kursen über Graphologie teilgenommen und zwar von 1951 bis 1958. Da ist nicht alles damals Gelernte noch voll präsent bei mir. Aber meine eigene Handschrift werde ich doch wohl noch kennen?" Maikowski, Email vom 27.10.2009.
[52] Maikowski an Wedler, Brief am 16.2.1964. Abbildung in König, Saturni, 309.
[53] Dieser Brief ist nicht greifbar, jedoch Wedlers Replik an Maikowski, Brief am 26.9.1965. Faksimile in: König, Saturni, 319.
[54] Das Schreiben Wedlers an den Anwalt, die Erklärung Wagners (Arminius) an die Mitglieder und Maikowskis Berichtigungsschreiben, das er seinen Einladungen nachsenden musste in: König, Saturni, 320-322.
[55] Davon wollte Maikowski nichts wissen. "Da sind seltsame Dinge hinter meinem Rücken vor sich gegangen. […] Auch die mitgesandte Schrift mit Einladung zur Osterloge ist so verfälscht, wie die gedruckten Unterschriften. Darin ist doch Wahrheit und Lüge kräftig miteinander gemischt." Maikowski, Email vom 29.11.2009.
[56] Einer der Nachfolger Crowleys im O.T.O. und Grosches ehemaliger Erzfeind.
[57] Metzger an Wedler, Brief am 19.7.1965. Abbildung in: König, Materialien zum OTO, 85.
[58] Gespräch mit Dieter Heikaus, Grossmeister des Ordo Saturni, am 17.4.1987.
[59] Adolf Hemberger: "Organisationsformen, Rituale, Lehren und magische Thematik der freimaurerischen und freimaurerartigen Bünde im Deutschen Sprachraum Mitteleuropas - Der mystisch-magische Orden Fraternitas Saturni", Frankfurt 1971, 29.
[60] Rundschreiben Nr. 6 vom 25. September 1965.
[61] Maikowski, Email vom 19.9.2009.
[62] "Blätter für angewandte okkulte Lebenskunst" 35, Februar 53.
[63] Blätter, Mai 1961.
[64] Ab diesem Zeitpunkt war Maikowski Frührentner. Email vom 10.11.2009.
[65] Maikowski, Email vom 12.11.2009.
[66] "So hat er mir mit seiner Elektroakupunktur eine Herzdiagnose gestellt, die Ärzte erst Jahre später bei mir feststellen konnten. So war ich von Sandoz AG 1975 ja wegen einer Angina pectoris als Aussendienst-Mitarbeiter gekündigt worden." Maikowski, Email vom 15.9.2009.
[67] Maikowski, Email vom 4.8.2009.
[68] Maikowski, Email vom 15.9.2009.
[69] Maikowski, Email vom 20.9.2009.
[70] Maikowski, Email vom 11.9.2009.
[71] Der Schweizer O.T.O. erlitt zur selben Zeit und aus genau denselben Gründen dasselbe Schicksal: Horst Knauts Publikationen in "QUICK" und "NEUE REVUE" über die "Religion der wilden Lüste" erschreckte die Mitglieder und der Orden verschloss sich.
[72] Rundschreiben 3/77 vom 18.4.1977, 2.
[73] Rundschreiben 2/78 vom 15.4.1978. Faksimile in König, Homunculi, 172. Abbildung des Brustschmucks in: König, Materialien Zum OTO, München 1994, 91 und in König, Homunculi, 178. Online Farbreproduktion.
[74] Maikowski, Email vom 9.11.2009.
[75] "Magna Charta" vom 31.3.1972. Rundschreiben 2/78 vom 15.4.1978, 2, 3. Faksimile in König, Homunculi, 172. Ironischerweise erklärte Maikowski später, er habe von einem Meisterkreis dieses Namens nie etwas gewusst. Email vom 19.9.2009.
[76] Maikowski bestreitet, an diesem Logentreffen teilgenommen zu haben. Email vom 16.9.2009.
[77] "Damals wohnte er in Dietzenbach bei Frankfurt und ich hatte rein dienstlich für die Firma Sandoz dort zu tun, und besuchte ihn bei einer solchen Gelegenheit. Wir verstanden uns gut, obwohl ich seiner Werbung für die Freimaurer widerstanden habe. Und seine damalige Freundin Schwester Renate mochte mich auch. Den Brustschmuck hat er mir übergeben, geschenkt, ohne irgendeine Bedingung." Maikowski, Email vom 20.9.2009. "Den Brustschmuck von Gregorius hatte ich von Wicha bekommen. Jetzt wurde uns auf dieser Loge klar gemacht, dass ich nicht das Recht hätte, diesen Schmuck zu behalten, wie mir Drakon, der GM, sagte. Ausserdem wollte man die Rückgabe an die FS als Zeichen meines guten Willens werten. Da ich in Frieden mit der FS leben wollte, habe ich noch ein paar Bilder von dem Schmuck gemacht und ihn dann an Drakon übergeben. Wie Wicha ursprünglich an diesen Schmuck gekommen ist, weiss ich nicht." Maikowski, Email vom 19.9.2009.
[78] Faksimile in König, Homunculi, Seite 172. Dazu Maikowski: "Ein 18.°-Ritual soll statt gefunden haben? Ein Glück für mich, dass ich nicht an diesem Unsinn teilgenommen habe! Für wie blöd halten uns denn diese Schreiberlinge noch? In der alten FS von Gregorius hat ein solches nie existiert. Und ich bin bei meiner Weihe zum 18.° ohne jedes Ritual durch Schwertschlag und Handauflegung von G. geweiht worden. Und das war 1962 im Jahr des Giovanniputsches." Email vom 16.9.2009. Maikowski erhielt den 18° an Ostern 1963. Bericht zur Tagung der Gross-Loge zu Ostern 1963, 12.-15. April. Faksimile in: König, Saturni, 287.
[79] Online zur Neueren Geschichte der F.S.
[80] Maikowski, Email vom 14.9.2009.
[81] Anne Keller (Isola), geboren am 31.5.1917, Mitglied seit 1966, hatte schon mit Wolther eine umfangreiche und detaillierte Korrespondenz über Sexualmagie geführt.
[82] Uhlhart an Höllein, Brief am 30.12.2000. Orthographie und Grammatik wie im Original.
[83] Müller starb am 25.5.1982. 'Thelema' 2, Berlin 1982, 25, Magazin der Fraternitas Saturni in Baden-Baden. Faksimile in König, Homunculi, 255.
[84] "Von einem Verzicht auf den 33.° Grad kann von mir aus nicht die Rede sein." Maikowski, Email vom 20.9.2009.
[85] Maikowski, Email vom 20.9.2009.
[86] Faksimile in König, Homunculi, 182-185.
[87] Auch Maikowski fühlte sich betroffen: "Und vor wenigen Jahren las ich bei Rainer Fromm [Satanismus in Deutschland. Zwischen Kult und Gewalt. München 2003], dass ich der Erzsatanist Deutschlands sei. Mein Rechtsanwalt, den ich mit der Wahrung meiner Rechte beauftragt hatte, erfuhr beim Olzog-Verlag, dass ich ja schriftlich mein Einverständnis für diese Behauptung bei einem Gespräch mit Herrn Fromm schriftlich erklärt hätte. Als mein Rechtsanwalt eine Fotokopie dieser Erklärung verlangte, erfuhr er vom Verlag, dass dieses Schreiben verloren gegangen sei.- Nun hat aber nie ein Gespräch von Herrn Fromm und mir statt gefunden. Und niemals hätte ich eine solche Lüge gar noch unterschrieben." Email vom 17.11. 2012.
[88] Faksimile in König, Homunculi, 190-191.
[89] Faksimile in König, Homunculi, 192-194.
[90] Maikowski, Email vom 8.8.2009.
[91] Maikowski, Email vom 8.8.2009.
Was ab 1983 kommt, ist weniger Chronik als Endlosschleife: Neuordnung, Abspaltung, Rebranding — eine saturnische Landschaft, die sich in immer kleinere Parzellen zerfasert, bis man den Überblick nur noch mit Logengesetz, Adressbuch und gutem Willen behält. Parallel dazu rollt in den frühen 1980ern aus den USA ein frisch etikettierter O.T.O. als Import heran: The 'Caliphate'. Crowley-Schriften liegen plötzlich in jeder Esoterik-Buchhandlung, Zeitschriften reden von Thelema. Der esoterische Supermarkt vergrössert seine Regale – und die Suchenden greifen zu. Im O.T.O. ist Crowley der Prophet, "suitable for worship", in der F.S. bleibt er hingegen eine Referenz unter vielen. Für nicht wenige Saturnianer engt Thelema das Gedankengut und Experimentieren ein. Crowley gilt als Offenbarungsmagier, und an Offenbarungen will man in der F.S. irgendwie nicht glauben. Aber doppelt gemoppelt hält besser: Parallelmitgliedschaften zwischen 'Caliphate' und F.S. häufen sich.
In diesem neuen Klima eskalieren die hausgemachten Konflikte: 1982 wird der Thelema-Herausgeber Gebauer aus der Berliner F.S. (e.V. seit 16.2.1957) ausgeschlossen, Tschudi in Kanada läuft zu Heikaus’ O.S. über, Conrad tritt als Grossmeister zurück. 1983 wählen die in Günzburg versammelten Mitglieder Maikowski mit hauchdünner Mehrheit zum Grossmeister. Die konkurrierende Berliner F.S. e.V. schaltet einen Anwalt ein und erwirkt gegen ihn eine Unterlassungserklärung. Vor Gericht setzt sie sich aus formalrechtlichen Gründen durch, so dass Maikowski den Namen "Fraternitas Saturni" aufgibt. Für fast zehn Jahre bleibt es still um ihn. Ab 1993 beruft er sich wieder auf ein "altes Gesetz", seinen 33° und die Idee einer "geistigen Loge F.S.". Er setzt neue Kleinstlogen in die Welt (Communitas Saturni, Communitas Solis, Grossloge Gregor A. Gregorius der FS in Kaiserslautern GAG), die in einem teuer umgebauten Garagen-Logenraum in Kaiserslautern einen improvisierten Tempelalltag pflegen — mit Teppichen, Vorhängen, Ost-Altar und Camping-Toilette im Nebenkeller.
1998 fühlt sich Maikowski durch einen Lausfliegenbefall sabotiert. Er vermutet, zwei saturnische Bösewichter hätten mehrere Terrinen mit Flohlarven in seiner Wohnung ausgesetzt. Wohnung und Logenraum seien betroffen — bis hin zu Vorhängen, Altardecke und Logenmänteln. Als Gegenmassnahme verordnet er sich gleich die Grossmeister-Glatze als Empfangsfläche für die "transkosmischen Kräfte des Tetragrammaton für Loge, Leben und Welt."
Am 9.1.1999 löst Maikowski die GAG auf. Diese wächst trotzdem mit Figuren wie Aragon, Hermes, Federico Tolli und Legatus zu einem eigenen Player mit Zeitschriften, Fernsehritualen, Pansophischer Gesellschaft, Titeln und Patenten heran. Fusionspläne mit der Berliner F.S. werden entworfen, verworfen, neu entworfen und wieder verworfen: Misstrauen, Intrigenphantasien, schnelle Gradverleihungen. Uhlhart erscheint als ambivalente Altfigur zwischen den Lagern. Aragon führt die GAG 2003 in die Berliner F.S. hinein. Mediale Konflikte strapazieren die Nerven. Ein verschärftes Logengesetz verbietet ausdrücklich den Kontakt zu ehemaligen Mitgliedern.Im Zentrum bleibt die Frage, wer mit welchem Recht "Autorität" beanspruchen darf. Sie kann sakral über alte Logengesetze und Grade behauptet werden, juristisch über Vereinsregister und Gerichtsurteile, persönlich über Führungsfiguren wie Maikowski, Uhlhart oder Aragon – und erzählerisch über Nachfolgemythen und Gegengeschichten. Die GAG-Phase, die Formel der "Existentiellen Verborgenheit" und Uhlharts Briefe zeigen exemplarisch, wie diese Autoritätsmodelle ineinandergreifen, sich widersprechen und in eine saturnische Diaspora kleiner, konkurrierender Logen münden. Die jüngere Geschichte der im Vereinsregister eingetragenen Berliner F.S. und des Ordo Saturni verschwindet in Maikowskis Wahrnehmung am Horizont. Das sind für ihn bloss noch leere Hülsen ohne jeden geistigen Gehalt.
Am Ende steht da eine Communitas Saturni. Ohne ihren Gründer. Maikowski entwirft am Computer in rasanter Folge immer neue "geistige" Logenformationen, die kaum die Lebensdauer einer Fruchtfliege erreichen. Gleichzeitig übersetzt er einige meiner Artikel ins Französische und beantwortet mir täglich bis zu drei Emails – ausführlich und detailliert; die Posteingangssuche nach seiner Absenderadresse liefert 2661 Treffer. Maikowskis grosser Autoritätskrieg wird zur Korrespondenzarbeit. Smalltalk kommt in diesen Emails und auch Briefen nicht vor – darin erinnert der Schriftverkehr an meinen Austausch mit Walter Jantschik.
Bald darauf relativiert er seine früheren Sendungsansprüche und lässt das Ganze mit Emails an Google und Fernsehanstalten, selbsternannten Ablasspredigern und türkischem Marsch endgültig ins absolut Private kippen.
Vor diesem Hintergrund wirkt die Gastloge der Communitas Saturni auf einem Jugendzeltplatz im August 2013 wie die Sommervariante eines okkulten Pfadfinderlagers. Später taucht in dieser Geschichtensammlung ein ehemaliger Exponent der Szene auf – inzwischen auf der Strasse lebend und als Bettler medial präsent. Seine öffentliche Selbstinszenierung erscheint da nur noch als späte, weltliche Fussnote zu den saturnischen Autoritätsphantasien der Jahre davor. Damals bestand er noch darauf, mit "Herr Bischof Tolli" angesprochen zu werden.
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