Zwischen Nachkriegs-Okkultismus, Wirtschaftswunder-Kino und den Aktivitäten verschiedener Saturn-Logen positioniert sich Guido Wolther als Akteur, der unterschiedliche Traditionslinien in einem spezifisch deutschsprachigen Kontext bündelt. Seine Texte, Zeichnungen und Rituale greifen auf Formen der populären Unterhaltung zurück, wie sie im deutschsprachigen Raum der 1960er-Jahre vorliegen: Heftromane, Genre-Kino (u. a. Edgar-Wallace-Verfilmungen, Produktionen im Stil der Hammer-Studios), frühe Science-Fiction-Reihen aus dem Kioskbuchhandel sowie eine zunehmend sichtbare "chemische Esoterik". Wolthers Arbeit erscheint vor diesem Hintergrund weniger als Import fremder Sensationen, sondern als Verdichtung dieser bereits vorhandenen kulturellen Bestände in einem okkulten Deutungsrahmen. Seine Skizzen, Diagramme und Ritualtexte bilden ein Inventar dieser Aneignung und markieren die Bühne, auf der er sein eigenes System entwirft.
"Grusel, Grüfte, Groschenhefte": wäre dieser Titel nicht schon für eine Chronik des Dämonenbooms verwendet worden [Achtung: Amazon-Link], dann stünde er hier als Untertitel.
Die vielen Skizzen, Zeichnungen und Rituale kartieren Wolthers Bühne als Inventar. Was sind seine Inspirationen?
Die meisten Bilder, die diesen Text begleiten, sind AI-generiert. Grund ist, dass sie den Montage- und Filmcharakter von Wolthers System sichtbar machen sollen, ohne seine originalen Skizzen erneut zu reproduzieren oder neue vermeintlich geheime Logendokumente zu produzieren. AI-Bilder sind visuelle Paraphrasen; sie illustrieren die Analyse.
In diesem Text tauchen immer wieder in Klammern gesetzte autobiographische Einsprengsel auf. Das ist kein privater Zierrat, sondern eine ethnologische Setzung, ein Untersuchungsinstrument. Viele der hier ausgewerteten Dokumente wären ohne persönliche Beteiligung gar nicht zugänglich. Die Ich-Passagen markieren diese Verstrickung und machen sichtbar, dass hier jemand schreibt, der nicht außerhalb des Feldes steht, sondern mitten in den Zirkulationsprozessen von Texten, Bildern und Mythen.
Der Ton folgt demselben Prinzip. Der Mix aus akademischem, essayistischem und polemischem Register ist bewusst gesetzt: Ich oszilliere zwischen analytischer Fachsprache und pointierten, manchmal polemischen Formulierungen, um einerseits möglichst präzise zu beschreiben und andererseits die Distanz zum Material sichtbar zu halten. Die ironischen oder scharf zugespitzten Einsprengsel sollen nicht das Feld lächerlich machen, sondern Spannungen markieren: zwischen Selbstbild und Außenwahrnehmung der Akteure, zwischen Ernst und Pose, zwischen Herrschaftsanspruch und realer Praxis. In diesem Sinn gehören sowohl die ethnologischen Selbstmarkierungen als auch der Registerwechsel zum Gegenstand: Sie zeigen, dass die Analyse selbst Teil jener Macht-, Deutungs- und Archivprozesse ist, die sie beschreibt.
[AI-generiertes Image]
Vorwort
I. Biographischer Rahmen
Guido Wolther – in der Fraternitas Saturni (F.S.) unter dem Logennamen "Frater Daniel" – lebt Anfang der 1960er Jahre in materiell prekären Verhältnissen. Er beschreibt sich selbst als arbeitslosen Chemiker, der nur noch als "freischaffender Buchhändler" am Rande des Existenzminimums überlebt. Gemeinsam mit seiner Frau Andrée Mériam Wolther (genannt Miriam oder Rahel) und dem gemeinsamen Sohn Patrick lebt er buchstäblich in der Bruchzone der Nachkriegszeit. Miriam ist Jüdin und während der NS-Zeit verfolgt worden. Sie wird von Zeitzeugen später als "kleine, zarte, sehr intelligente Frau – Dichterin und Malerin, eher unterdrückt" beschrieben (Johannes Maikowski, E-Mail vom 3.8.2009). Über Wolther sagt Maikowski – damals sein Konkurrent um das Großmeisteramt – rückblickend, er sei ein "Spieler" gewesen: also nicht nur jemand, der damit Geld verdient, sondern einer, der auch taktisch agiert, manipuliert, dramatisch auftritt und mit Gesten der Souveränität arbeitet. Wolther selbst nimmt später für sich in Anspruch, "despotischer und strenger gewesen zu sein als zehn Gregoriusse und das stimmt – deshalb war ich auch reichlich unbeliebt und stand eben niemand 'nahe'." (Wolther an die Redaktion der Zeitschrift "QUICK", 19.7.1974) – also härter als Eugen Grosche alias "Gregorius", die 1964 verstorbene Gründerfigur der F.S.. Diese Selbstdarstellung ist das Gegenteil von Bescheidenheit; sie soll Programm sein.
II. Die Beziehung zwischen Guido und Miriam Wolther
Zwischen Guido und Miriam herrscht ein extremes Spannungsfeld aus Nähe, Abhängigkeit, gegenseitiger Instrumentalisierung und letztlich gescheiterter Bindung. Miriam ist für Wolther mehr als Ehefrau: Sie ist Medium, Resonanzkörper, Mitproduzentin von Ritualrezepturen. Er schreibt explizit, dass bestimmte Bestandteile eines später durchgeführten Rituals – etwa der Einsatz von Antimon, Uran-Salzen, Thoriumoxid, Strontiumflamme, Petroleum, Blut – in Trance-Zuständen über Miriam "von hohen Saturn-Intelligenzen" übermittelt worden seien. Damit wird sie in seiner Erzählung zur priesterlichen Übermittlerin okkulter Technologie. Gleichzeitig inszeniert er sich selbst als derjenige, der diese Technologie dann auch anwendet, strukturiert, deutet und somit in Macht übersetzen kann.
Diese Machtübersetzung ist zentral. Miriam wird in seiner Inszenierung zum weiblichen Pol eines "männlich-weiblichen göttlichen Prinzips", das rituell eingesetzt wird, um unterirdische, jenseits-saturnische Mächte aufzubrechen. Aber in dieser Erzählung ist immer er es, der am Ende spricht; er ist es, der mit der angerufenen Entität verhandelt, er ist es, der um Herrschaft bittet, er formuliert die Bedingungen. Sie hingegen kippt ohnmächtig um, während er der Sprechende, der Vertragspartner bleibt. Das heißt: Er erhebt sie zwar symbolisch – Hohepriesterin, Trance-Medium, Teil eines kosmischen Bipols – aber entmachtet sie zugleich narrativ. Ihre Rolle ist energetisch unverzichtbar, aber politisch nicht souverän. Das wird später wichtig, wenn sie ihn verlässt.
Wie prekär das völkische Logenmilieu für eine jüdische Frau wie Miriam Wolther ist, zeigt eine Episode, die Wolther später gegenüber Friedrich-Wilhelm Haack schildert:
"Meine Frau ist übrigens Jüdin und Französin und hatte in ihrer Jugend schreckliche Erlebnisse - was meinen Sie was sie für einen Schock erhielt, als ihr einer der FS Logenbrüder ' beichtete ' dass er als SS Mann in einem Frauenlager viele umgebracht hat ? Als Hochgrad war sie verpflichtet sich das anzuhören - und dann zu schweigen und zu vergessen und zu vergeben. Oh Gott ! ich könnte das nicht !" (Wolther an Haack, 5.9.1978)
Wer dieser von Wolther gegenüber Haack erwähnte "SS-Mann" gewesen sein könnte, bleibt im Brief selbst offen. Der damalige Logenbruder und spätere Großmeister Johannes Maikowski vermutet rückblickend, dass es sich um E.P.H. Barth, den unter dem Pseudonym "Amenophis" auftretenden Kanzler der F.S., gehandelt haben könnte: "'Amenophis' bürgerlicher Name wurde erfolgreich vor allen Mitgliedern geheim gehalten. Angeblich ein ehemaliger SS–Offizier, Meister, Kanzler, alkoholkrank, so dass man ihn aus Bad Nauheim, bzw. der dortigen Klinik, wo Flita [Maikowskis damalige Ehefrau] und ich ihn besucht haben, herausgeworfen hat. Vater eines katholischen Pfarrers […]" (Maikowski, E-Mail vom 23.09.2009).
Mein Video-Interview vom 23.8.2011 mit Johannes Maikowski, in dem er sich an an die Nazis in der Loge erinnert, findet sich auf YouTube.
Transkript
PRK: Jetzt würde mich aber in diesem Zusammenhang interessieren, Sie sagten, Eugen Grosche war ein liebevoller Mensch, weshalb hat er denn so viele Nazis in der Fraternita Saturni getoleriert?
JM: Aus Toleranz, weil er geglaubt hatte, die hätten sich gebessert.
PRK: Haben Sie nicht den Eindruck, dass...
JM: Das sagte ja auch der Lämmergeier, auch der hatte sich gebessert. Sie kennen die Geschichte von Meyrink. Nein? Ach nee, gut, dann lassen wir es sein.
PRK: Aber haben hatten Sie haben Sie wirklich den Eindruck, dass sich diese Nazis gebessert haben in der Fraternita Saturni?
JM: Leider nicht, die sind die geblieben, die sie waren. Vor allem Judenhasser wie Rösler.
PRK: Aber weshalb hat dann Grosche diese Judenhasser geduldet? Das ist doch etwas...
JM: Nun, er hat daran geglaubt, dass diese Menschen sich ändern würden.
PRK: Aber er hat ja offensichtlich erlebt, dass sich diese Menschen nicht ändern. Hat es da nicht andere Gründe gegeben, dass Grosche diese Leute geduldet hat?
JM: Vielleicht, weil er Mitglieder brauchte? Nun, an Geld habe ich niemals gedacht. Denn mir gegenüber war er so tolerant, dass er mit meinen 15 Ostmark zufrieden war. Und ich ihm dann Leistungen, wie Sie ja wissen, fotografischer, forscherischer Art, Brunnensteine fotografierte, DDR und so weiter geholfen habe bei seiner Arbeit. Vor allen Dingen Bücher aus der Staatsbibliothek fotokopiert und ihm zur Verfügung stellte. So, das war gut. Ich wusste, dass ich nicht mehr zahlen konnte als Student, der 1953 das Stipendium trotz aller Fleißleistungen verloren hatte, weil mein Vater in den Westen gegangen war, am 17. Juni.
PRK: Diese Nazis, die in der Fraternitas Saturni gewesen sind, haben die ihre Nazi-Ideologie, während der Loge...
JM: Nein, niemals. Kein politisches Wort ist je verloren worden. Darüber ist niemals gesprochen worden.
PRK: Auch nie ein antisemitisches Wort?
JM: Nein, nein, niemals.
PRK: Aber es hat doch viele Juden auch gegeben, zum Beispiel...
Also das war jetzt nach Grosches Tod.
Die Frau von äh
JM: Wolther
PRK: Wolther war ja eine Jüdin, die im KZ gelitten hat. Die musste sich doch unwohl gefühlt haben in der Gegenwart von diesen Nazis.
JM: Von Rösler und Giovanni, ja. Hat sie mir nie gesagt. Ich möchte sagen, dass Mirjam mehr geträumt hat, als gelebt hat. Sie liebte ihre Kunst, ihre Dichtkunst und Malerei. Mit einem Trottel verheiratet zu sein, einem Berufsspieler, der alles Geld auf den Kopf gehauen hat. Nicht nur ihres, sondern auch das anderer Menschen.
Altlasten, Geldströme und Vergangenheiten
Solche Episoden führen direkt zu einer unangenehmen Frage: Warum wurden ehemalige Nazis – bis hin zu offenen Täterfiguren – in der F.S. überhaupt geduldet?
Maikowski antwortet mit einer Doppelbewegung: pekuniäre Interessen und eine spezifische Vorstellung von "Toleranz". Er illustriert dies am Beispiel des "Meister Manfred" (Manfred Heber): "Als Mstr. Sarah [Charlotte Meinke] und ich ihm [Eugen Grosche a.k.a Gregorius] mitgeteilt hatten, dass der Meister Manfred pro Woche eine Katze mit dem Auto extra überfahre, und wir mit einem solchen Verbrecher nicht in einer Loge sein wollten. Antwort: 'Hauptsache, er zahlt!'" (Maikowski, E-Mail vom 10.8.2009)
Als Meister Sarah und ich Gregorius darüber entrüstet berichteten, kam er zu diesem für uns unverständlichen Ausspruch: 'Hauptsache, er zahlt.' Ja, es stimmt, dass Gregorius auf die Beiträge der Mitglieder angewiesen war; denn seine Einnahmen aus seinem Buchhandel und den von ihm geschriebenen Büchern reichten nicht aus zum Leben. Und solch' ein Meister wie Manfred wurde von Gregorius geduldet, weil er eineinhalbfacher Millionär war und G. hat uns gesagt: 'Ihr werdet sehen, der Meister Manfred baut uns noch ein Logenhaus.' – Nun, wir haben das nicht gesehen. Heute lebt dieser Herr auf **** und sammelt Briefmarken und schreibt darüber. Und sonst war Gregorius eben sehr tolerant, so dass er als Antifaschist und ehemaliger Emigrant bei sich in der FS alte Nazis geduldet hat, weil er meinte, auch sie könnten durch die Arbeit an sich selbst zu besseren Menschen werden." (Maikowski, E-Mail vom 13.09.2009)
Vor diesem Hintergrund charakterisiert Maikowski auch die inneren Konflikte der 1960er Jahre. Die Putschisten, die im März 1962 Eugen Grosche absetzen wollten, seien, so seine Deutung, mehrheitlich "alte Nazis" gewesen, die Grosches antifaschistische Biographie und Autorität nicht hinnehmen wollten:
"Diese Herren, die geputscht haben, verbindet gegen Gregorius, dass sie alte Nazis waren [Maikowski meint: Rösler, Amenophis und möglicherweise Karl Wedler], und Gregorius war Emigrant und Antifaschist. Vor allem Ramananda = Wolf Rösler war ja ein 'hohes Tier' in der Arbeitsfront, und Demokraten– und Judenhasser, wie Giovanni übrigens. Da haben wir leider den Grund für den Putsch, dass sich diese Leute nicht von einem ....... Gregorius kommandieren lassen wollten. Aber sein Wissen schätzten sie. Das wollten sie haben. Denn Magie bedeutet für diese Leute MACHT und GELD."
(Maikowski, E-Mail vom 24.09.2009)
Besonders scharf fällt dabei Maikowskis Urteil über Wolf Rösler aus:
"Rösler war ein Nazi, 'ein hohes Tier' sogar. Er wäre mir sympathischer gewesen, wenn er nicht für nur DM 500.– nach 1945 'entnazifiziert' worden wäre. Das war wohl zu wenig für einen Nazi und ehemaligen Minister im Arbeitsbereich, der am 20.4. wie der Führer Geburtstag hatte. Er war als Orts– und Landesmeister der FS von Stuttgart […] Rösler war als Nazi gegen die antifaschistische Haltung von Gregorius."
(Maikowski, E-Mail vom 03.09.2009)
→ Details zur neueren Geschichte der F.S. Mit Fotos von Rösler, Barth, Wedler und anderen.
1966, als Wolther bereits als Führungsfigur in der Fraternitas Saturni auftritt, reagiert er und erlässt ein Tabu für die Treffen der Loge: "Bei Zusammenkünften zwischen Brüdern und Schwestern sind jegliche Gespräche über Politik und Rassen sowie den damit zusammenhängenden Problemen strengstens untersagt!" (Rundschreiben Nr. 14 vom 15. November 1966). Das ist nicht nur Nettigkeit. Das ist aktiver Schutz seiner Frau innerhalb eines Milieus, das damals durchaus antisemitische, rassistische, völkische Töne kennt. Er benutzt also Amtsautorität, um anti-jüdisches Gerede in seinem Machtbereich zu unterbinden. Das kann man als Fürsorge lesen – aber auch als Machtdisziplin: Er kontrolliert, worüber in der Loge geredet werden darf. Er kontrolliert das Diskursfeld. Anfänglich.
1968 verlässt Miriam ihn und tritt – zusammen mit ihrem neuen Lover, Hans (Reinhard?) Bühler, genannt "Heliobas" – am 28.8.1968 aus der F.S. aus.
Das ist mehr als nur ein privater Ehebruch. Das entzieht Wolther seine kosmische Partnerin, seine öffentliche Legitimation als "magisches Paar", und damit den emotionalen und rituellen Kern seines Führungsnarrativs. Wolther hat schwer damit zu kämpfen, vernachlässigt seine Logenpflichten und die F.S.
Miriam Wolthers "Reise nach Australien führte durch die Balkanländer, und dort ging dem Mstr.H. das Geld aus, und R.W. [R. = Rahel] kam 2 Wochen später zurück zu ihrem Ehemann." [Johannes Maikowski, E-Mail vom 4. August 2009. Einen genaueren Report gibt Wolther in seinem "Abschlussbericht" von Ende 1968, Faksimile in: P.R. König, In Nomine Demiurgi Nosferati. Das trifft auf alle zitierten Dokumente zu.]
Wolthers Gesundheit ist angeschlagen, der Seitensprung seiner Frau macht ihm schwer zu schaffen: "Ein Schlaganfall lähmte den rechten Arm und das linke Auge sieht kaum noch. In sechs Wochen habe ich 18 kg abgenommen. Ich bin nur noch der Schatten meiner selbst."
Es folgen interne Eskalationen um Geld, Loyalität, Besitz von Ritualmaterial, Zuständigkeiten. Plötzlich steht im Raum, dass Wolther es mit Geld und Wahrheit nicht immer genau genommen habe. Das heißt: Die Ehekrise wird unmittelbar eine Logenkrise.
Das Pluto-Ritual, das Wolther als kosmische Legitimationsgeschichte seiner Machtposition erzählt, datiert er möglicherweise rückwirkend auf 1962/63. Diese Rückdatierung lässt sich als Versuch lesen, die Eskalation von Ehe- und Logenkrise nachträglich in einen kosmischen Plan einzuschreiben.
III. Das Pluto‑Ritual, angeblich 1962/63
Wolther gibt an, in den Jahren 1962/63 – also vor seiner späteren Funktion als Großmeister der Fraternitas Saturni – mehrere radikale, planetenbezogene Operationen durchgeführt zu haben. Dazu zählen eine Pluto-Evokation in einer Tropfsteinhöhle in den Pyrenäen ("Cauterets"), eine Uranus-Arbeit am Ozean und eine Neptun-Beschwörung in den Sümpfen der Camargue. Im Zentrum steht jedoch die sogenannte Pluto-Evokation.
Nach seiner Darstellung dringen er und Miriam in eine unterirdische Höhle vor. Sie arbeiten dort mit Metallräucherungen, Schwefelgestank und allerlei toxischen Dämpfen, bei Petroleumlicht und mit improvisierten Steinwerkzeugen. Bewusst verzichten sie auf klassische "Tempel"-Elemente wie Altar, Weihrauch und liturgische Reinheit. Die Inszenierung zielt auf ein Bild radikaler, "elementarer" Ritualpraxis – bareback im Untergrund, sozusagen.
Der Ablauf, so wie er ihn schildert, ist präzise dramaturgisch gegliedert:
Vorbereitung des Ortes: ein in den steinigen Boden geritzter mehrstufiger Schutz- und Arbeitskreis aus konzentrischen Ringen und Dreiecken.
Einschreiben von Namen und Siegeln: Saturn-Geister wie Agiel, Aratron, Cassiel; die "Urmütter" Lilith, Nahema, Hekate, Ishtar/Astaroth, Proserpina; also weiblich dämonisierte, sexuelle, unterweltliche Mächte. Diese werden angerufen wie Zeugen / Verstärker.
Körperliche Stellung: Er und Miriam treten nackt auf, als "männliches und weibliches göttliches Prinzip", um – so seine Formulierung – "den Teufel aus der Hölle zu holen". Sexualität ist hier nicht Privatvergnügen, sondern ein ritueller Generator.
Materialopfer: Blut in kochendes Antimon, Thoriumoxid, Uran-Salze, Strontiumflamme, Petroleum. Das Ganze bildet eine Art giftigen, grell leuchtenden Brennpunkt. Er beschreibt Mischungen, die real toxisch sind und Halluzination, Ohnmacht, Bewusstseinsverschiebung auslösen können.
Lautmagie: eine Anrufungs- und Zwangsformel aus barbarischen Namen und rituellen Imperativen ("binde!" / "Hoo… binde!! Hu!"). Das ist nicht höfliche Liturgie, sondern rituelles Anbrüllen.
Manifestation: Zuerst ein monströser Skorpion, dann eine hybride Spinnen-/Skorpiongestalt mit Frauenkopf, schließlich eine menschlich wirkende, schwarzhaarige Frauengestalt mit eisgrünen Augen, die sich als "Arachthon" erweist. Dieses Wesen spricht, warnt, droht, verhandelt.
Explizites Ziel des Unterfangens: Wolther bittet die Erscheinung explizit um "Macht, über Menschen zu herrschen – Macht, Herr einer Organisation zu sein, einer okkulten Gruppe, die wiederum Macht in drei Reichen darstellt". Wolther formuliert damit offen den Anspruch auf institutionelle Führungsposition und koppelt diesen Anspruch an eine singuläre, transplanetare Kontakterfahrung. Er fügt hinzu, er wolle diese Macht mit seiner Frau "teilen".
Die Antwort der gestaltwandelnden Pluto-Intelligenz ist doppelt: Einerseits scheint sie ihm diese Stellung zuzusprechen – also Anerkennung als Herr einer Organisation. Andererseits warnt sie ihn: "Das Weib wird dich dereinst verraten, Menschlein." Kurz: Du kriegst die Macht, aber deine engste Verbündete wird dich zerstören.
Dieses Ritual fungiert also nachträglich als wirkmächtiges Gründungsnarrativ für seine Logenrolle innerhalb der Fraternitas Saturni. Die Chronologie ordnet er so, dass nach dieser Pluto-Arbeit seine faktische Macht in der F.S. ansteigt: Er rückt zum Großmeister auf, übernimmt das Logenarchiv, erlässt Anordnungen und Verbote, gründet interne Geheimbünde. Wenige Jahre später erfüllt sich – zumindest nach seiner Deutung – die Warnung: Miriam verlässt ihn mit Heliobas, und die Loge stürzt ins Chaos. Das Pluto-Ritual erscheint damit nicht als hübsche Vision, sondern als kosmische Investitur: eine Thronverleihung, ein Vertrag mit der Unterwelt – eine sich selbsterfüllende Prophezeiung im Stil einer griechischen Tragödie.
IV. Sexualität als Machttechnik – nicht als Romantik
In Wolthers Texten und grafischen Arbeiten erscheint Sexualität nicht primär als Ausdruck von Intimität oder "Liebe", sondern als instrumentalisierbare Größe innerhalb eines okkulten Regelsystems. Sex ist Waffe, Stromquelle, Zwangsmittel, Bannfeld. Mehrere wiederkehrende Motive weisen darauf hin:
→ Beispiele in dieser Galerie und deren Folgeseiten.
In zahlreichen Zeichnungen wird der (meist weiblich codierte) Körper auf einem Altar positioniert, flankiert von priesterähnlichen Figuren mit liturgischen Geräten (Kelch, Messer, Kerzen, Pentagramme). Der Körper fungiert hier als Arbeitsfläche und Opferträger, die traditionelle Trias Priester–Altar–Opfer wird in eine explizit sexualisierte Konstellation übertragen.
Wolther führt Dämonen oder Wesenheiten ein, deren Zuständigkeit explizit auf sexuelle Felder bezogen wird (Eifersucht, Untreue, "Gruppenliebe", deviante Praktiken). Zu diesen Wesenheiten liefert er Sigillen, Rufzeichen und Anrufungsformeln. Sexualität wird damit als Feld der Steuerung von Bindung, Abhängigkeit, Manipulation und Unterwerfung konzipiert: ein sozialer Zwangapparat.
Die dargestellten Körperhaltungen und Berührungsmuster sind schematisch und funktional gehalten. Sie werden weniger erotisch ausgeschmückt als vielmehr in einer Art technischer Notation präsentiert: bestimmte Griffe, Visualisationen und Konzentrationspunkte sollen definierte "Energieleitungen" auslösen. "Greif hier, visualisiere dort, leite diese Kraft in jenes Zentrum, sprich diese Formel." Dies korrespondiert mit der Darstellung im Pluto-Text, in dem das "männliche und weibliche göttliche Prinzip" als Schaltstelle für das Überschreiten kosmischer Schwellen beschrieben wird.
Blasphemie ist funktional eingebaut. Ob sie reine Provokation für die Loge ist, Angeberei, um als großer Magier dazustehen, sei mal dahingestellt. Kreuze aus Penis und Vulva, Dornenkrone und heiliges Herz werden sexualisiert. Das ist keine pubertäre Randnotiz. Das ist ein erklärter Angriff auf das bisherige Heilige. Er ersetzt Weihrauch durch Antimon-Dampf, die Hostie durch Blut-im-Metall, die sakrale Kerze durch Strontiumflamme. Er ersetzt Christus am Kreuz durch Genital-Symbole, die in seinen Diagrammen die Rolle der Opferformel übernehmen. Das ist theologisch gemeint: Das alte Sakrale wird zerstört, um Platz für ein neues Sakrales zu schaffen – sein Sakrales.
In der Summe entsteht ein Bild, in dem Sexualität als Mittel der Machtgenerierung und -sicherung fungiert. Sie ist bei Wolther kein mystischer Eros der Vereinigung, keine Romantik, sondern wird zum Medium, über das Herrschaftsverhältnisse stabilisiert, rituelle Loyalitäten gesichert und Bindungs-, Schuld- sowie Opferkonzepte neu geordnet werden.
Wolther propagiert die "vollkommene Ablehnung des Homosexuellen od. Päderasten als magisch–sexuelles Monstrum" und setzt als Oberhaupt für diesen Aeon den "Dämon des Ungemachs und des Ehebruchs" mit dem "Räucherwerk Kastanienblüten (echt), die in Samen und Mensesblut getränkt sind" ein. Es folgen der "Dämon der Untreue, der Sodomie und der Päderastie," der "Dämon der Unzucht und der Gruppenliebe" mit Angabe der magischen Zeichen, die "sofortige Macht über Männer und Weiber in sexueller Hinsicht" verleihen. ("Die Symbolik des Gradus Pentalphae", ohne Ort und Datum).
Wolthers scharfe Zurückweisung bestimmter Sexualformen und seine detaillierten Anweisungen zur "magischen" Nutzung anderer Formen unterstreichen, dass es ihm weniger um individuelle Freiheit als um eine normierende, hierarchische Ordnung von Körpern und Begehren geht.
Karl Wedler, alias "Giovanni" ein Nachfolger von Eugen Grosche, liefert seinem "Bruder und Freund" dafür das Manuskript "Lotio Diaboli", auch als "Elixier des Teufels" bekannt, d.h. dem "Höllenfürsten Lucifer" geweihte Rezepte für "In der Stunde des Saturn" herzustellende Tinkturen zur Vergiftung von Feinden, die blind gemacht, mit tödlichen Krankheiten infiziert, in den Wahnsinn getrieben, kurz: vom Halse geschafft werden können. "Der echte Magier muss diese Dinge kennen, um sich im Notfall auch materiell gegen Feinde verteidigen zu können.""Ich …, rufe Euch, Ihr dämonischen und höllischen Kräfte des Universums. Ich, …., rufe insbesondere Dich, großer Fürst des Lichtes und der Finsternis – L u c i f e r ! Ich rufe Dich, Beelzebub, ich rufe Dich – Astaroth – Belial – Behemoth – Leviathan – Agaliarept – Asmodi – Magoth – Orieus – Paimon – Ariton – Amaimon! Ich rufe Euch – Lucifuge genannt Rofocale – Satanchia – Fleurethy – Sargatanas und Nebiros! Euch, Ihr höllichen [sic] Fürsten und Geister, weihe ich diese Elixiere!" etc. etc. (Manuskript datiert vom 26.8.1966).
[AI-generiertes Image]
V. Die Sigillen, Glyphen und Bildtafeln
Die gezeigten Zeichnungen – Dämoninnen mit Skorpionschwanz, Baphomet-Gestalten mit Brüsten und Phallus, geflügelte Hybride, planetare Siegel, Reihen aus Phalli und Vulven, Messer- und Kelch-Symbole – sind formal organisiert. Das ist kein zufälliges Gekritzel.
Typisch sind ganze Blätter, die wie ein Handbuch aufgebaut sind:
Name der Entität (z. B. eine Dämonin, ein personifizierter Trieb, ein planetarer Logos wie Saturn, Sonne, Mond).
Sigill dieser Entität: ein markantes, verschlungenes Zeichen.
"Rufzeichen" oder Lautformel: barbarische, pseudo-semitische, pseudo-enochianische Ketten von Silben.
Das ist exakt die Logik klassischer Grimoires: Geist X, Sigill Y, ruf ihn mit Formel Z, er leistet Dienst W. Wolther übersetzt diese Struktur in seine eigene Symbolsprache, koppelt sie an Sexualmagie und an seine Pluto-Mythologie.
Andere Blätter sind wie Ablaufpläne strukturiert: "Praeparatio", "Invocatio", "Conclusione". Unter jeder Phase stehen Piktogrammketten (Kelch, Kerzenleuchter, Phallus, Vulva, Dolch, Pentagramm, Herz-mit-Dolch, Schlange, Stern). Das funktioniert wie eine partiturartige Instruktion: erst reinigen / öffnen / aufladen, dann rufen / fordern / binden, dann versiegeln / abschließen. Genau so ist auch das Pluto-Ritual erzählt: Vorbereitung des Raums, Aufladung durch Sexualpolarität, Anrufung über Namen und Blut, Materialisation, Bindung, Abschluss.
Besonders auffällig ist die ständige Präsenz von Skorpion-, Spinnen- und Schlangenmotiven. Im Pluto-Ritual materialisiert sich die jenseitige Intelligenz zuerst als monströser Skorpion. In den Zeichnungen taucht die Skorpion-/Spinnen-Figur als emblematisches Machtwesen auf – oft weiblich codiert, oft verbunden mit sexueller Dominanz. Die Schlange erscheint gekrönt, also als Hoheitszeichen weiblicher Unterwelts- oder Urmutter-Gewalt (Lilith, Nahema, Hekate etc.). Diese Bildsprache ist eine Visualisierung seiner eigenen Erzählung: Er, Wolther, war dabeigewesen, als diese Kräfte sprachen.
Damit sind die Zeichnungen mehr als provozierende Pornobilder. Sie sind Lehrtafeln seines Kultsystems. Sie bilden einen geschlossenen Referenzkörper für Rituale, die er als einzigartig, gefährlich und machtstiftend ausgibt. Sie dienen der Schulung und der Disziplinierung: Wer dazugehören will, muss diese Bilder und ihre Deutung akzeptieren. Das ist Herrschaft durch Archiv.
VI. Drogen, Chemie und veränderte Bewusstseinszustände
Chemie spielt bei Wolther keine Nebenrolle. Sie ist Teil seines Okkult-Baukastens.
Im Pluto-Ritual beschreibt er die Verwendung von Antimon, Uran-Salzen, Thoriumoxid, Strontium und Petroleum. Das sind keine esoterischen Duftöle. Das sind toxische, reizende, teils radioaktive oder schwermetallische Substanzen. Die Kombination aus schlechter Belüftung, hoher Luftfeuchtigkeit, Fackel- oder Lampenlicht und zusätzlichen Rauch- und Gasquellen kann aus naturwissenschaftlicher Perspektive als Risikokonstellation gelten, in der Atemnot, Schwindel, Übelkeit und veränderte Wahrnehmung auftreten können. In einer interpretierenden Lesart legt dies nahe, dass zumindest Teile der beschriebenen Visionen und Bewusstseinszustände durch toxische Belastungen und Sauerstoffmangel mitbedingt gewesen sein könnten. Genau das schildert er: Ohnmacht, Vision, Erscheinung der Gestalt "Arachthon". Man muss dafür keinen Engel bemühen. Man muss nur verstehen, was giftige Dämpfe in 250 m Tiefe anrichten können.
Gleichzeitig ist zu betonen, dass der vorliegende Text keine genauen Angaben zu Konzentrationen, Expositionsdauer oder medizinischen Nachwirkungen liefert. Konkrete toxikologische Aussagen bleiben daher hypothetisch. Sicher festhalten lässt sich lediglich, dass Wolther eine Konfiguration beschreibt, in der bewusst mit chemischen Substanzen, eingeschlossenen Räumen und Grenzsituationen des Körpers gearbeitet wird. Unabhängig vom exakten physiologischen Mechanismus erzeugt diese Konstellation eine starke Kopplung von Ritual, Körpererfahrung und Bewusstseinsveränderung. In der Zusammenschau mit zeitgenössischen Diskursen über Meskalin, LSD und "Bewusstseinserweiterung" kann dies als Versuch gelesen werden, chemische, magische und psychische Modelle systematisch zu verschränken.
Parallel dazu taucht in der Binnenkorrespondenz der F.S. Mitte der 1960er Jahre Meskalin auf. Horst Kropp, der unter dem Druck einer angeblich beschworenen Entität (Exorial) leidet, klagt darüber, dass ihn diese Wesenheit nachts bedränge, dass Schutzrituale nur teilweise helfen, dass er Paktbedingungen nicht verstehe, dass er Angst habe. Wolther schickt Meskalin. Meskalin ist hier klar gedacht als technisches Hilfsmittel, um den Kontakt zur Entität entweder zu stabilisieren oder subjektiv neu zu framen.
Das heißt: Drogen, Schwermetalle, giftige Dämpfe – das alles wird von Wolther als Praxis eingesetzt, um veränderte Zustände herzustellen und sie dann als Beweis seiner okkulten Autorität zu interpretieren. Er ist nicht nur "Magus", er ist Lieferant der Bewusstseinszustände. Das erzeugt Abhängigkeit: Wer eine Panik-Visitation hat ("Exorial bedrängt mich nachts"), kommt zu ihm; er gibt Chemie; er definiert, was du erlebt hast.
So etwas fällt natürlich im doch eher kleinbürgerlich scheinenden Milieu der F.S. auf: Und wie schnell kann man nun seine Position als erfolgreicher Magier zementieren ... "Nahema! Nahema! Uuu! Ole-Ona-Uüä-Uuu! Aie, Aonie, Lilith, Lilith! Lilith! Oron chite haloja aroen latistén. Ka eron maggo holler ka nono ka hel. Maguth ka craim he! Yaro… Sat! Elohim! Marazoth !! Hoo… !! Hu!!!"
VII. Machtpolitik in der Fraternitas Saturni
Die Fraternitas Saturni befand sich nach dem Tod Eugen Grosches ("Gregorius") in einer Phase struktureller Instabilität. Mitte der 1960er-Jahre lassen sich innerlogische Konflikte um Nachfolge, Zugriff auf rituelles Material, Auslegungshoheit und rituelle Linie erkennen. Karl Wedler ("Giovanni") verfügte über Teile des Logenarchivs aus dem Nachlass von Grosche; dieses Material ging an Wolther über, als dieser das Amt des Großmeisters übernahm. Der Besitz des Archivs fungiert in diesem Kontext als zentrale Ressource symbolischer und ritueller Legitimation: Wer die überlieferten Rituale, Siegel, Grade und Instruktionen verwahrt, erscheint automatisch als Hüter der Tradition.
Ein ähnliches Muster lässt sich bei den verschiedenen O.T.O.-Strömungen beobachten, in denen nach dem Tod des Gründers 1923 ebenfalls ein Gerangel um die Nachfolge und das Archivmaterial entbrannte.
Wolther gründet 1968 – seiner eigenen Darstellung nach "auf höheren Befehl des Großen Demiurgen Saturn" hin – zusätzliche Logenformationen (etwa den Alten und Mystischen Orden der Saturnbruderschaft, AMOS, oder den Mystischen Orden des Saturn, OMS / Ordo Mysticus Saturni) innerhalb oder am Rand der bestehenden F.S.-Struktur. Auf so etwas stürzen sich die Okkult-Streber natürlich sofort: Wo es Logengrade gibt, will man ja dabei sein. Prompt gründet Maikowski in einer konkurrierenden F.S. nun "Die Flora = Fraternitas Luminis Ordo Reginus Adeptorum [...], die eigentlich nur die OFL, die Ordensloge Fraternitas Luminis, war – nur ein etwas ausführlicherer Name." (Maikowski, E-Mail vom 3.9.2009.)
Eine weitere Logengründung Wolthers, die aus dem 1958 erschienenen Roman "Frabato" von Franz Bardon gezerrte FOGC-Loge, bleibt außerhalb des Papiers ohne Wirkung. Er verfasst deren Rituale usw., die – von Adolf Hemberger in dessen Sammelsurium "Pansophie und Rosenkreuz", Teil II, Band 3, Gießen 1974, veröffentlicht – bis heute im Umlauf sind. Über ihn gleich mehr.
Nun wird also konkret, was Wolther im Pluto-Ritual beansprucht hatte: "Macht, Herr einer Organisation zu sein, einer okkulten Gruppe, die wiederum Macht in drei Reichen darstellt." Er beschränkt sich nicht darauf, eine bestehende Gruppe zu übernehmen, sondern beginnt, innerhalb dieser Struktur weitere Untergliederungen und innere Logenkreise anzulegen.
Parallel dazu intensiviert er das Verhältnis zu einzelnen Mitgliedern wie Horst Kropp. Kropp schreibt ihm in einem Ton, der schon devot ist: Wie beschwöre ich das Wesen richtig? Wie halte ich es? Wie verhindere ich, dass es mich auffrißt? Hier zeigt sich weniger eine egalitäre "Bruderkette" als vielmehr ein hierarchisches, von Abhängigkeit geprägtes Verhältnis zwischen Ratsuchendem und Deutungsautorität: der bedrohte Schüler bittet den Meister um Rettung.
In der Gesamtschau deutet dies darauf hin, dass Wolther die von ihm etablierte okkulte Terminologie und Ritualpraxis gezielt als Disziplinartechnologie einsetzt. Er kontrolliert Gesprächsfelder. Er verteilt oder verweigert Wissen. Er entscheidet, was als echte Erfahrung gilt und was als Irrweg. Er legitimiert sich über ein eigenes, angeblich einmaliges Kontaktereignis (Pluto / Arachthon jenseits Saturn). Und er vermittelt diese Geschichte als Kern seiner Autoritätskonstruktion. Auf dieser Grundlage entwickelt er eine interne Herrschaftsordnung, die sich auf Text, Ritual und Archiv stützt.
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VIII. Skorpion, Arachthon und der Verrat
Die zentrale Erscheinung im Pluto-Ritus ist ein Wesen, das in mehreren Phasen Gestalt annimmt: Zuerst ein abstoßender Skorpion. Dann eine Spinnen- / Skorpion-Hybride mit Frauenkopf. Dann eine schwarzhaarige, grünäugige Frauengestalt von übermenschlicher Kälte. Diese Instanz nennt sich (oder wird genannt) "Arachthon".
Der Skorpion ist nicht zufällig gewählt. Astrologisch wird Pluto in der okkult-populären Nachkriegs-Deutung häufig dem Skorpion zugeordnet: Sex, Tod, Gift, Zersetzung, Machttrieb, Obsession, Kontrolle. Der Skorpion sticht von hinten, vergiftet, tötet; gleichzeitig ist der Skorpion ein uraltes Emblem der tödlichen Weiblichkeit. In Wolthers Text ist der Skorpion weiblich, erotisiert, dämonisch, bedrohlich. Sie ist sowohl der Kanal, durch den Macht kommt, als auch die Vorankündigung seines eigenen Untergangs.
Arachthon warnt: Du bekommst zwar Macht über Menschen und wirst Herr einer okkulten Gruppe – aber "das Weib" an deiner Seite wird dich verraten. Diese Prophezeiung erfüllt zwei Funktionen: Sie überhöht ihn (er ist der Auserwählte). Und sie pathologisiert weibliche Autonomie schon im Voraus. Wenn Miriam – seine Frau, seine Priesterin, sein Medium – ein paar Jahre später tatsächlich mit einem anderen Mann (Heliobas) davon zieht, kann Wolther behaupten, das sei kein banaler Ehebruch, sondern die Erfüllung einer dämonisch-kosmischen Tragödie. Er bleibt so der Auserwählte, das Opfer, der König, der verraten wurde. Sie wird zur Verräterin am Pakt, nicht zu einer Frau mit Entscheidungsrecht.
Diese Logik taucht in den Zeichnungen wieder auf. Die dämonischen, weiblich codierten, hybriden Figuren – Skorpionkörper, Frauenkopf, Flügel, Hörner, Krone, Schlangen – werden bildlich fixiert und mit Sigillen versehen. Sie sind nicht "Monster aus Spaß". Sie sind die Bildform seiner Arachthon-Erzählung.
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IX. Gnosis?
Im Ritualtext klingen gnostische Motive an, ohne dass der Begriff "Gnosis" fällt. Zentrales Element ist die Saturngrenze. Wolther spricht von der Gefahr bei "astralen Wanderungen […] beim Versuch der Durchbrechung der Schwelle über die Saturnebene hinaus". Er fragt ausdrücklich, ob "nach Saturn keine Planetenlogos mehr in unserem System" existieren. Der Kosmos erscheint als gestufter Raum mit äußerer Grenze und unbekannten Regionen dahinter.
Wolther gibt an, er habe 1968 Logen "auf höheren Befehl des Großen Demiurgen Saturn" gegründet. Saturn wird damit als herrschende Instanz und Befehlsgeber markiert. Diese Verwendung von "Demiurg" ist klassisch gnostisch anschlussfähig. Gleichzeitig versucht das Pluto-Projekt, gerade über die Saturngrenze hinauszugreifen.
Das Motiv des verborgenen Wissens tritt in der Formulierung eines "undurchdringlichen Schleiers" hervor. Wolther schreibt, "daß über diesem Lande noch ein undurchdringlicher Schleier liegt. Das Unwirkliche – Geheimnisvolle reizt uns – wir ‚müssen‘ einfach… Es treibt uns zu entdecken und zu arbeiten – ‚magisch‘ zu arbeiten". Schon zuvor heißt es, man wolle "durch rituelle Rufungen […] eine Bresche in die Mauer zu schlagen versuchen, hinter der das Unbekannte lauern sollte". Das ist ein klares Erkenntnisszenario: verborgene kosmische Region, Schleier, der nur durch Spezialpraxis geöffnet werden soll.
Das Ritualskript selbst wird laut Wolther nicht frei erfunden, sondern "durch Vermittlung einer hohen Saturnintelligenz von Myriam in Trance niedergeschrieben". Die Anrufungen nennen namentlich Saturnwesenheiten wie "Agiel, Aratron, Uriel und Cassiel". Der Text konstruiert eine hierarchische Kosmologie mit personalisierten geistigen Instanzen, die geheime Instruktionen geben.
Schließlich erscheint Pluto in Gestalt der Entität Arachthon als ambivalente Tiefenmacht. Die Vision zeigt zuerst einen "abstoßenden Skorpion", dann eine Hybride und schließlich eine "schwarzhaarige, grünäugige Frauengestalt" namens "Arachthon". Wolther bittet sie um "Macht, über Menschen zu herrschen – Macht, Herr einer Organisation zu sein, einer okkulten Gruppe, die wiederum Macht in drei Reichen darstellt". Arachthon gewährt dies, warnt aber: "Das Weib der Menschen ist nicht geschaffen, Macht in den Händen zu halten – Sie wird Dich dereinst verraten Menschlein!". Macht, Schicksal und "Erkenntnis" des Verrats sind damit in ein kosmisches Drama eingebettet, das über das individuelle Paar hinausweist.
Gnostisch sind hier also nicht Begriffe, sondern Strukturen: eine kosmische Grenze (Saturn), ein Demiurg, hierarchische Logoi, ein Schleier des Unbekannten, vermittelte Offenbarung durch höhere Intelligenzen und eine transplanetare Instanz, die Macht und Wissen im Tausch gegen Bindung und Risiko anbietet. Diese Motive sind im Text belegt, auch wenn das Wort "Gnosis" nie fällt.
X. Freud oder Foucault?
Die Frage ist nun, ob man dieses Arrangement primär als psychodynamische Konfliktinszenierung (Angst, Begehren, Schuld) oder als Macht- / Wissens-Regime lesen will, in dem diese Konflikte zur Steuerung der Loge funktionalisiert werden.
Eine freudianische Deutung würde Wolthers Konstruktion der Skorpionfrau als Verarbeitung narzisstischer Kränkungen und von Autonomiekonflikten in der Paarbeziehung verstehen. Miriam erscheint im Material zugleich als notwendige Partnerin und rituelle "Energiequelle" und als eigenständiges Subjekt, dessen mögliche Distanzierung oder Abwendung als Bedrohung markiert wird. Die im Ritualtext formulierte Aussage, die Frau werde den Protagonisten "verraten", lässt sich freudianisch als Ausdruck von Eifersucht, Verlustangst und Projektion interpretieren. In dieser Perspektive wäre die Skorpionfigur eine Symbolisierung von Kastrationsfantasien, Todestrieb-Besetzung und der Angst vor Kontrollverlust in intimen Beziehungen.
Eine foucaultsche Perspektive verschiebt den Fokus von der individuellen Psychodynamik um Libido auf Macht-Wissen-Verhältnisse. Wolther etabliert mit Ritualtexten, Lehrtafeln, Instruktionen und Verboten (Tabu der Themen "Politik" und "Rasse" in der F.S.) ein diskursives Regime, in dem bestimmte Deutungen von Sexualität, Körper und Bewusstsein autorisiert und andere ausgeschlossen werden. Die Sexualität wird als kosmische Energiequelle unter ritueller Regie definiert, nicht als privates Begehren; der weibliche Körper erscheint primär als Funktionsträger innerhalb eines energetischen Systems, nicht als autonomes Subjekt. Hinzu kommt, dass Bewusstseinsveränderungen durch den Einsatz von Substanzen beschrieben werden, während gleichzeitig die Deutungshoheit über diese Zustände bei Wolther bleibt. Aus foucaultscher Sicht wäre dies ein Beispiel für die Produktion eines Mikrosystems von Disziplin, in dem Text, Ritual und Archivierung Herrschaft sichern: Wer die von Wolther gesetzten Deutungsrahmen übernimmt, akzeptiert implizit seine Autorität.
Darum ist Foucault hier analytisch ergiebiger als Freud. Freud erklärt das Eifersuchtsdrama. Foucault erklärt, wie aus Sexualität Regierung wird.
XI. Adolf Hemberger: Verstärker, nicht Ursprung
Um 1967 taucht Adolf Hemberger (4.11.1929–10.11.1991) auf, ein notorischer Sammler, Kompilator und Vermarkter esoterischer und angeblich "geheimer" Ordensmaterialien. Viele nehmen ihn als Skandalgenerator wahr: Er sammelt okkulte Interna, Sexualmagie und vermeintlich verbotene Rituale, bläst sie auf und veräußert sie zwischen 1971 und 1977 in mehrteiligen Privatdrucken. Er mischt O-Töne, Mythen, Fiktion, Dokumente der Beteiligten und eigene Dramatisierungen zu einem undurchdringlichen Geflecht und drängt damit in die Öffentlichkeit.
Oscar R. Schlag charakterisiert ihn so, dass Hemberger "Feuer durch Explosion" erzeuge, während er selbst "Feuer durch Reibung" entfache.
Innerhalb der "Studiengruppe für psychologische Probleme" hält Wolther gemeinsam mit Hemberger Vorträge in der F.S.; eine entsprechende Veranstaltung wird am 21.11.1969 von Stanislaus W. Wicha angekündigt, der um diese Zeit Großmeister ist.
[Weiterführende Details sind in meinen Buchpublikationen dokumentiert.]
[Ich habe den Schweizer O.T.O., beziehungsweise dessen Leiterin Annemarie Äschbach, am 11.09.1986 in Stein/Appenzell besucht. (Das Oberhaupt, Hermann Joseph Metzger, wurde mir nicht vorgeführt.) Für unsere Unterredung setzte sie mich auf einen Stuhl, der wohl für besondere Besucher gedacht war, die man argwöhnisch beobachten kann, denn sie meinte im Verlauf des Treffens, Adolf Hemberger habe genau auf demselben Stuhl gesessen. Nur kurze Zeit später berichtete mir einer der aktivsten Freimaurer der Schweiz, dass ihm Ähnliches widerfahren sei: "Genau auf diesem Stuhl hat auch P.R. König gesessen." Im weiteren Verlauf des Gesprächs, in der ihr Beitrag hauptsächlich aus "No comment!" bestand, warf mir Frau Äschbach vor, ich mache dasselbe aus meinen Unterlagen wie Hemberger. Eigenartigerweise hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nichts publiziert gehabt.]
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Mit seinen Imaginationen, die via Hemberger in die Boulevardpresse sickern, fügt Wolther dem Ruf der F.S. erkennbar Schaden zu. Deshalb wird alles, was von ihm und um ihn her stammt, von den meisten Mitgliedern – damals wie heute – stirnrunzelnd abgetan; es sei kein 'offizielles' Gedankengut und keine 'offiziellen' Praktiken der F.S.
Man kolportiert, Wolthers plump ausgeführte Zeichnungen – diese expliziten Sigillen, Dämonen der Eifersucht, Baphomet mit Genital-Kreuz, Saturn-Evokation mit Knochen und allerlei Okkulttand – seien nichts weiter als Material, das er eigens für Hemberger 'erfunden' habe, um es ihm teuer zu verkaufen.
Diese Erklärung ist zu bequem und so nicht haltbar. Die Struktur seiner Rituale, die Rolle Miriams als Medium, die Idee der Pluto-Evokation "jenseits Saturn", die Verknüpfung von Sexualität, Blut, Giftgas und Unterwelt-Intelligenzen, die Zwangs- und Bannformeln, die ikonische Skorpionfrau Arachthon und die Gliederung in Praeparatio / Invocatio / Conclusione datiert Wolther selbst auf Anfang / Mitte der 1960er-Jahre – also deutlich vor Hembergers späteren Materialsammlungen.
Außerdem ist Wolther in dieser Phase Großmeister der F.S. Gilt es nicht als üblich, dass ein solcher Amtsinhaber Rituale, Instruktionen und interne Strukturen seiner Loge anpasst und erweitert? Warum sollte das ausgerechnet in seinem Fall anders gewesen sein?
Schon 1966 tritt Wolther gegenüber Logenbrüdern und Schwestern als jemand auf, der:
ihnen Meskalin schickt,
sie in Evokationstechniken (Exorial, Bann, Paktlogik) berät,
als Beschützer angerufen wird, wenn panische Manifestationen auftreten (Kropp: "Wahrscheinlich wird bald einer sterben …"),
und der offen als Großmeister bzw. als oberste Instanz der F.S. bezeichnet wird. Das alles passiert, bevor Hemberger anfängt, systematisch F.S.-Material auf den Markt zu werfen.
Anders ausgedrückt: Hemberger ist Multiplikator und Ausschlachter. Er verstärkt Wolthers Selbstdarstellung, archiviert sie, verkauft sie, verschiebt sie ins Halb-Öffentliche. Aber das System – Pluto jenseits von Saturn, Sexualmagie als Herrschaftstechnologie, Miriam als Hohepriesterin und Verräterin, Sigillen als Bannwaffen, der Magus als Dealer für Bewusstseinszustände – existiert schon davor. Hemberger füttert lediglich die Legende und schafft Skandal, aber er hat sie nicht erschaffen.
XII. Sexualmagie?
Im Pluto-Ritual steckt Sexualmagie — aber strukturell und codiert, nicht als expliziter Geschlechtsakt. Die Textoberfläche vermeidet jede direkte Benennung, während die Semantik über Namen, Figuren und Funktionsabläufe eindeutig arbeitet. Das beginnt bei den Anrufungen: Chavah / Heva (Eva), Nahema und Lilith sind in der okkulten Tradition sexual-kodierte Marker für Eros, Verführung und "nächtliche" Weiblichkeitsdämonik. Solche Namen fungieren im magischen Diskurs als Stellvertreter für sexuelle Kraftlenkung — Sigillen- und Beschwörungssprache, die das Benannte wirksam macht, ohne es auszusprechen.
Die zentrale Bildgestalt ist die Skorpionfrau. Astrologisch verknüpft der Skorpion (Pluto; 8. Haus) Sexus und Tod — Eros-Thanatos als Doppelbindung. Der hybride Körper — menschlicher Oberkörper mit chitinösem Unterleib und Stachel — modelliert genau jene erotisch-tödliche Schwelle, auf der Begehren und Gefahr untrennbar werden. Damit wird die "Vereinigung" symbolisch verschoben: Nicht Koitus, sondern Kontakt mit einer Machtinstanz, die im weiblichen Körper-Bild erscheint und zugleich transpersonal bleibt.
Auch die Rollenverteilung folgt dem sexmagischen Skript der FS-Tradition: Polarisierung von Operator und Medium. Er beschwört, dirigiert, kontrolliert; sie kollabiert, tranciert, vermittelt. Der Körper des Mediums wird zur Schwelle, durch die die Macht spricht. Dass kein Koitus beschrieben wird, ist sekundär; entscheidend ist die funktionale Polar-Arbeit, wie sie die FS als energetisches Prinzip versteht.
Die Technik der Enthemmung ersetzt die klassische "orgiastische Gnosis" durch chemisch-physische Grenzerfahrung: Dämpfe, Atemnot, Schock und Ohnmacht erzeugen Zustände, die sexmagisch sonst über Erregungskurven erreicht werden. Mit anderen Worten: Trance durch Atem / Schmerz statt durch Sexus — ein Funktionsäquivalent, das den sexuellen Vektor verschleiert, nicht aufhebt. Diese Para-Wissenschaftlichkeit (Laborrhetorik, Chemie) umcodiert den erotischen Kern in eine Versuchsanordnung.
Die Zielstruktur ist gleichfalls sexmagisch lesbar: Die explizit formulierte Bitte um "Macht, Herr einer Organisation zu sein" übersetzt die Vereinigung mit der Machtinstanz in sozialen Machtgewinn. Bindung → Bündnis → Autorität: Das ist die übliche Logik des sexmagischen Narrativs, nur ohne Liebesmetaphysik und mit offenem Machtpragmatismus.
Warum ist das "versteckt"? Weil der Text Sexualität in Symbolik auslagert: Dämonennamen (Lilith / Nahema / Chavah), Tierkörper (Skorpion) und Rollenmechanik (Operator / Medium) bilden ein semantisches Netz, das Sexus funktional trägt, aber diskursiv kaschiert. Wer "nein, keine Sexualmagie" sagen will, müsste Sexualmagie dogmatisch auf den expliziten Akt verengen — am Text vorbei. Die durchgehenden sexual-kodierten Marker, die Schwellenfigur der Skorpionfrau und die Trance-Techniken sind im Sinne der FS eindeutig.
Fazit: Das Ritual ist sexmagisch durchdrungen — sublimiert in Namen und Bildern (Lilith / Nahema / Chavah; Skorpionfrau als Eros-Thanatos-Figur), organisiert über die Operator / Medium-Polarität und operationalisiert über Trance / Atem / Schock als Funktionsäquivalente der "orgiastischen Gnosis". Sexualmagie ohne Sexszene: funktional eindeutig, ästhetisch verschleiert.
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XIII. Schluss: Das System und sein Zusammenbruch
Das von Wolther entwickelte Arrangement geht über ein einzelnes Ritual und über eine begrenzte Gruppe von provozierenden Zeichnungen hinaus. Es lässt sich als kohärentes Herrschaftsmodell beschreiben, das auf mehreren ineinandergreifenden Elementen beruht.
Gründungsnarrativ
Wolther berichtet, er habe 1962/63 in einer Höhle unter Einsatz von Sexualpolarität, Blut, Giften, Schwermetallen und barbarischen Anrufungen eine trans-saturnische Instanz namens "Arachthon" kontaktiert. Diese Macht habe ihn zum Herrscher über eine okkulte Organisation bestimmt. Dieses Narrativ dient als kosmologisch aufgeladene Legitimationsgeschichte seiner späteren realen Führungsrolle in der Fraternitas Saturni.
Skizzenblätter
Die Sigillen- und Glyphenblätter mit Dämonennamen, Rufzeichen, planetaren Layouts (Saturn, Mond, Sonne), sexualisierten Altar-Szenen, der Abfolge "Praeparatio / Invocatio / Conclusione", Baphomet-Androgynen, Skorpionfrauen sowie genitalen Kreuzmotiven fungieren nicht nur als Provokationsmaterial. Sie sind Schulungsinstruktionen. Sie legen fest, wie Sexualität, Gewalt, Blasphemie, Bann und Zwang als Werkzeuge eingesetzt werden. Sie lehren eine Praxis, in der Sexualität soziale Kontrolle erzeugt und religiöse Tabus absichtlich zerschlagen werden.
Disziplinierung und Mikropolitik
In einem Umfeld, in dem seine jüdische Frau einem Logenbruder gegenübersteht, den er als SS-Mann beschreibt und der nach seiner Darstellung in einem Frauenlager "viele umgebracht" hat, regelt Wolther die Gesprächsordnung durch das Verbot von Politik- und Rasse-Themen – einerseits, um sie zu schützen, andererseits, um seine Deutungshoheit zu sichern. Zugleich liefert er Drogen und toxische Substanzen als rituelle Werkzeuge, was ihn zum zentralen Vermittler von "Erfahrung" macht.
Prestige wird dabei über Opfer- und Risikobereitschaft erzeugt: Wer signalisiert, Gesundheit, Ansehen oder Vernunft für die Sache riskieren zu können, kann sich als "Souverän" inszenieren. Der Höhlenraum markiert eine Gegenwelt zur bürgerlichen Normalität. In der Höhle geht es nicht um Sicherheit, Karriere oder Alltagsnutzen, sondern darum, sich dem Risiko von Ohnmacht und möglicherweise Tod auszusetzen, um eine trans-saturnische Instanz zu erreichen.
Der Zugriff auf das rituelle Archiv und die Bildung innerer Logenkreise verstärken diese Position. Daraus resultiert ein Geflecht von Abhängigkeiten, in dem spirituelle Sicherheit und Zugehörigkeit an seine Person gekoppelt erscheinen.
Tragödienmotiv und Loyalitätspolitik
Die im Ritual formulierte Prophezeiung, "das Weib" werde ihn verraten, wird retrospektiv mit Miriams tatsächlichen Weggang 1968 verknüpft. Die Trennung lässt sich so als Bestätigung einer vorausgesagten kosmischen Tragödie deuten, nicht als banale Ehekrise. Damit immunisiert Wolther sich selbst.
Sein Selbstentwurf als auserwählte, von "höheren Kräften" legitimierte Figur bleibt unangetastet, während die weibliche Akteurin rückwirkend in die Rolle der Verräterin an einer vorgegebenen Ordnung gerückt wird. Ihr wird Autonomie abgesprochen.
In dieser Perspektive erscheint Wolthers System als Versuch, biographische Erfahrungen, Sexualpraktiken, chemisch induzierte Grenzzustände, Unterwelt- und Dämonologie-Rhetorik sowie die Kontrolle über das Logenarchiv zu einem konsistenten Herrschaftsarrangement zu verbinden. Die Konflikte der späten 1960er-Jahre in der F.S. lassen sich dann nicht primär als Folge "riskanter magischer Experimente" verstehen, sondern als Ausdruck der Spannungen, die aus diesem stark personalisierten Machtmodell resultieren.
Für Miriam, die als Jüdin die NS-Verfolgung überlebt hatte, bedeutet dieses Arrangement, dass sie einerseits als Medium und kosmische Partnerin in Szene gesetzt wird, andererseits aber in einer Logenumgebung agiert, in der biographische NS-Altlasten aus Geld- und Loyalitätsgründen geduldet werden. Im Rückblick verschärft gerade dieses Spannungsfeld zwischen symbolischer Erhöhung und realer Verwundbarkeit die Fragilität ihres Verhältnisses zu Guido.
Der Bruch 1968/69 – Miriams (kurzzeitiger) Weggang und Wolthers Rücktritt als Großmeister am 2.4.1969 – markiert in diesem Modell nicht nur eine biographische, sondern auch eine strukturelle Zäsur: Das System verliert mit der Abwesenheit der zentralen rituellen Partnerin seine innere Balance, und die Loge muss ihre Autoritätsstrukturen neu ordnen. Die nachfolgende Amtsübernahme durch den Baphometor Walter Jantschik, dessen Skandale, Provokationen und späteres Weltmodell aus Diagrammen, Lichtcodes und Selbstreferenz zeigen, dass die Auseinandersetzung um Deutungshoheit und rituelle Linie damit nicht beendet ist, sondern in neue Formen übergeht.
Bereits zu Lebzeiten Wolthers übernimmt Miriam eine aktive Rolle bei der Verwaltung seines rituellen und schriftlichen Nachlasses, wie ein Brief vom 3.9.1998 zeigt, den sie mit "Andrée Mériam Wolther" unterzeichnet. Wolther selbst stirbt 2001.
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Das Pluto‑Ritual (1962/63)
Ed.: Strukturierte Transkription mit Zwischentiteln.
Erstellt aus dem Original "Durchgeführte Evokationen des Daniel".
Adolf Hembergers Version in In Nomine Demiurgi Nosferati.
Überschriften dienen der besseren Orientierung; der Fließtext bleibt als Zitatfolge erhalten.
Einleitung & Kontext
Ich beschreibe hier zunächst einmal zwei Evokationen, die in ihrer Art neu sind und wie ich glaube, behaupten zu dürfen, erstmalig durchgeführt wurden. Es handelt sich um Uranus- und Plutoevokationen, bzw. um den Versuch, mit diesen Planetenlogos in Kontakt zu kommen. Ich selber ging mit äußerster Skepsis ans Werk, nicht überzeugt war, mit diesen Wesenheiten nicht arbeiten zu können – aufgrund ihrer fremdartigen Wesenscharaktere und in Hinsicht dessen, daß diese Raum–Zeit–Sphären noch zu ferne seien, um brauchbare Projektionen in unsere Ebene zu werfen. Übrigens – es kommt hier noch eine dritte Position hinzu – ebenso rätselhaft wie verworren und gefährlich. Es sind jene dunklen nebulösen Sphären des Planetenlogos Neptun. Auch hier werde ich einen Evokationsversuch schildern. Noch heute läuft mir ein eiskaltes Schaudern über den Rücken, wenn ich an jene Versuche denke.
Chronologie der ersten Experimente (1962/63)
Das erste Experiment fand statt im August des Jahres 1962 in den Pyrenäen. In – "Cauterets" war’s – in einer jener rätselhaften Höhlen die hunderte, vielleicht tausende von Metern in die Erde hineinreichen. Dort erfolgte die erste Plutorufung. Ein Jahr später zur selben Zeit – am Rande des Ozeans an der baskischen Küste – wurde Uranus evoziert und ein Monat später – also Ende September 1963 – machte ich mit meiner Frau zusammen den Versuch, Wesenheiten der Neptunregion zu erreichen. Diese Operation wurde inmitten den Sümpfen von Camargue in Südfrankreich durchgeführt.
Problemstellung & Risiken jenseits von Saturn
Wie schwierig es war, diese Arbeiten in Angriff zu nehmen, wird erst recht verständlich, wenn man hinzufügt, daß keinerlei Anhaltspunkte bezüglich Ritual, Siegel etc. existieren. In der evokativen, empirischen Magie ist nun Saturn die Grenze von Raum und Zeit; darüber hinaus noch kein "Lebender" vorgestoßen war – Magier, die trotzdem versucht hatten, mit herkömmlichen Mitteln diese "Schwelle" zu überschreiten, waren ausnahmslos gestorben oder an Körper und Seele krank zurückgekehrt.
Gefahr der Rückschleuderung ins Einsteinkontinuum
Es bestand die Gefahr – bei astralen Wanderungen – also bei Raum–Zeit–Phasenversetzungen – beim Versuch der Durchbrechung der Schwelle über die Saturnebene hinaus – ganz plötzlich und unerwartet materialisiert und brutal in unser vierdimensionales Einsteinkontinuum zurückgeschleudert zu werden. Ein fürchterlicher Schock wäre die Folge davon.
Strategiewechsel: Bresche durch Rufungen
So ging’s also nicht; das war uns klar – man mußte sehen, durch rituelle Rufungen (Mantrams und kabbalistischen "Kanälen") eine Bresche in die Mauer zu schlagen versuchen, hinter der das Unbekannte lauern sollte. "Lauert" es denn auch wirklich dort? oder gab’s diese Sphären gar nicht? War vielleicht alles ein Irrtum und existierten nach Saturn keine Planetenlogos mehr in unserem System? Diese Fragen wollten wir lösen – wir – meine Frau und ich.
Ritualidee & Rahmen (Höhle, Metallräucherungen)
Über das Ritual waren wir uns jetzt noch nicht ganz einig. Fest stand nur, daß die Pluto-Evokation tief in der Erde – also in einer Höhle – vor sich zu gehen habe. Auch darüber waren wir uns klar, daß die üblichen Räucherweißsubstanzen nicht zu gebrauchen waren. Metalldämpfe müßten es sein – meinte meine Frau – "kochendes Blei… oder so…" "Aha!" sagte ich, "aber was ist das bloß so…?!" – "Nun," meinte Myriam, "ich stelle mir vor, daß das Einstäuben von Uransalzen oder Thoriumoxyd in das kochende Blei einige Wirkung erzielen müßte. Die Flamme sollte mit Strontium tiefrot gefärbt werden, als Brennstoff wurde Petroleum gut gefunden." Einig waren wir uns darüber, daß kein Tier geopfert würde, möge es sein, wie es wolle.
Ritualskript via Saturn-Intelligenz (Trance-Diktat)
In viertägiger intensiver Arbeit stand auch das Ritual fest. Es wurde durch Vermittlung einer hohen Saturnintelligenz von Myriam in Trance niedergeschrieben. Dabei konnten wir mit Genugtuung feststellen, daß unsere Überlegungen bezüglich Metalle etc. als "Räucherung" durchaus richtig gewesen waren. Anstelle Blei wurde lediglich Antimon verlangt. Dieses Metall besaß ich noch in reichlichem Maße von meinen ersten Besuchen aus dem Cantal her (Amor ex Nihil). Unser Meister Giovanni [Karl Wedler] besitzt sogar auch ein Stück jenes Antimonbrockens, der mit in der Höhle war und jene Evokation – gewissermaßen – "miterlebt" (wenn man das von einem Metallbrocken sagen darf).
Zusätze & Stoffe (Thoriumoxid; Strontium-Flamme)
Ich selber bestimmte dann noch das schwach radioaktive Thoriumoxyd als Zusatzmittel und glaubte damit gut getan zu haben. Worüber wir uns nicht ganz im Klaren waren, stellte jene Tatsache dar, daß wir nicht wußten, ob die zu evokierende Wesenheit dämonischer oder (anders) dämonischer Art war. Keine Schrift gab darüber Auskunft – konnte es ja auch nicht – fast alle Experten waren der Meinung, daß diese von mir vorbereitete Operation daran scheitern müßte, daß es eben gar keine Möglichkeiten gäbe, in jene Regionen vorzustoßen… und wenn – so meinten jene Männer – sei es zweckmäßig, sich jetzt schon einen schönen Sarg zu bestellen und das Testament zu machen.
Nun, die mich kennen, wissen, daß solche Unkenrufe mich absolut nicht berühren. Nicht, daß ich mein Leben und das meiner Frau leichtsinnig aufs Spiel setzen würde – oh nein – dazu liebe ich "beides" zu sehr. Da wir aber beide echte Magier sind – bitte – es läßt uns einfach keine Ruhe, daß über diesem Lande noch ein undurchdringlicher Schleier liegt. Das Unwirkliche – Geheimnisvolle reizt uns – wir "müssen" einfach… Es treibt uns zu entdecken und zu arbeiten – "magisch" zu arbeiten.
Wer uns kennt, weiß, daß wir keine "esoterischen Schwärmer" sind, sondern unsere Operationen mit wissenschaftlicher Gründlichkeit durchzuführen verstehen, und zwar unter Zuhilfenahme moderner technischer, gekoppelt mit den "herkömmlich klassischen magischen" Instrumenten. Allerdings möchte ich hier gleich noch hinzufügen, daß es hier wohl mit klassischen "magischen Waffen" nicht ganz stimmt.
Magische Werkzeuge (Basalt/Obsidian)
Ich hatte mir aus Basalt und Obsidianbrocken primitive Instrumente "geschaffen" (Meine armen Finger tun mir heute noch weh davon.). Wie in finsterster Steinzeit habe ich mit Hammer und Meißel Dinge hervorgebracht, die in etwa einem Dolch, einer Schale und einem "Stab" ähnlich waren.
War Pluto wirklich dämonisch – so glaube ich, daß der durch Kraftausdrücke, die ich während der Herstellung dieser Meisterwerke von mir gab, mir jetzt schon mit äußerstem Wohlwollen gegenüberstand.
Vorbereitende Vorfälle & Omen (Otterbiss, Sturz, Hagiel-Ruf)
Zur Vorbereitung der Operation hatten wir uns in ein altes Bauernhaus zurückgezogen und während eben dieser Vorbereitungen geschahen einige seltsame Dinge, die ich nicht versäumen möchte, hier niederzuschreiben. Bei der Suche nach brauchbaren Basaltstöcken (in jener Gegend gibt’s genügend davon), wurde ich von einer schwarzen Otter in die Hand gebissen. Zum übergroßen Glück trug ich schwere und dicke lederne Stulpenhandschuhe wie immer, wenn ich mit dem Prospektorenhammer mit splitternden und scharfkantigen Gesteinen arbeite. Das liebe Tierchen hatte sich geirrt… es hätte mich ins Bein beißen müssen – das wäre mein sicherer Tod gewesen… ohne Serum und Arzt. Blitzschnell packte ich die Schlange hinter dem Kopf und mit Druck auf den Körper machte ich sie stocksteif. Dann packte ich den Schwanz und – mit einem sinnigen Wort aus meiner schwäbischen Heimat – beförderte ich den Sendboten aus der Giftküche Luzifers in einen nahen Bach.
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Ehrlich gestanden: Meine Hände zitterten doch ein wenig und die Knie schlotterten bedenklich – es hat keinen Sinn, den Helden zu spielen. Nach einem kräftigen Zug aus der Armagnac-Flasche wurde mir wohler und ich setzte meine Suche weiter fort.
Da höre ich plötzlich die Stimme meiner Frau hinter mir. Himmel! Sollte sie mir in diese Wildnis gefolgt sein? "Ja!!" brülle ich, "Bist Du’s, Schatz?!" Ich drehe mich um, kann jedoch niemanden sehen. "Hallo!, Dany", rufe ich, "… lieber Gott, habe ich schon Halluzinationen? Da…!! nochmals… die Stimme, ich erkenne sie, ‚Dreh‘ um!… tu’s nicht!, kehre um… denk’ an mich und den Jungen, tu’s nicht! Gib deinen Plan auf! Millionensakrament!! Den werde ich verrückt!? (Oh, Verzeihung!). Komm raus!, brülle ich, ‚wer Du auch seist! Komm raus!‘ Sicher ist eines, meine Frau ist das nicht! So plump würde sie nie an mich heranschleichen und das Geschwätz von Umkehren liegt ihr nicht."
Es steht also fest, ich bin einer Sinnestäuschung zum Opfer gefallen. Oh oh! ich werde langsam alt. Da geschieht es… ein entsetzlicher Schmerz zuckt mir vom Steißbein her die ganze Wirbelsäule entlang und mit einem grellen Blitz explodiert etwas in meinem Gehirn. Dann ist es, als sei ich selber aus mir herausgetreten und könne mein anderes Ich betrachten und dies andere Ich benimmt sich beängstigend. Es tobt, brüllt, wälzt sich am Boden. Zerschlägt die Cognacflasche am Fels, wirft die Lebensmittel in den Bach – samt den gefundenen Steinen. Der Hammer zersplittert mit häßlichem Geräusch und dann beginnt dieses andere Ich, sich die Stirne am Fels zu zerschlagen.
Ein fürchterliches Erkennen steigt in mir auf – ich soll umgebracht werden, indem mein physischer Körper zerstört wird… und welch teuflischer Gedanke… ich soll dabei zusehen. "Die Plutoevokation!… Himmel es muß etwas geschehen." Panik steigt in mir hoch, "Oh Amon, Johannon – oh Daniel – Du armseliger Adept, was taugst Du in der Gefahr?" Angst krallt sich in mir fest. Ich spüre, daß ich sterben muß. Da kriecht aus dem hintersten Winkel meiner Erinnerungen ein Funke Hoffnung… die Erinnerung an Hagiel… Hagiel, das wunderschöne Wesen aus der Venusphäre. Hagiel… die Geliebte längst entschwundener Tage – wie sehr mußte jene theonische Wesen mich verachtet haben nach meinem Bruch mit ihr, meiner Liebe zu einem menschlichen Wesen…
"Hagiel!!! Hagiel!" In der Verzweiflung brülle ich dies Wort immer und immer wieder… und selber höre mich brüllen… und brülle selber… ich glaube ich verliere den Verstand! Plötzlich zuckt ein grüner Blitz auf vor meinen Augen?! und dann verliere ich die Besinnung.
Als ich wieder zu mir komme, liege ich im Bett und fühle mich, als sei eine ganze Herde Büffel über mich hinweggegaloppert. Ein herrlicher Verband ziert meinen Denkapparat. "Uh! wo bin ich eigentlich", frage ich – und muß nicht gerade intelligent ausgesehen haben. Ja – nun erkenne ich meine Frau. – Sie steht neben mir und lächelt mich an "Na, da hast Du aber nochmal Glück gehabt! 20 Meter abgestürzt und außer einer Mordbeule und Platzwunden am Kopf nichts abbekommen,… aber Du mußt ja auch immer an den gefährlichsten Stellen herumkraxeln." "Mm…", brumme ich, "da kann man halt nichts machen…" – das Erlebnis verschweige ich… Ich muß selber damit fertig werden.
Beharrlichkeit & Herstellung der Werkzeuge
Am anderen Tag kann ich wieder aufstehen und ich beschließe, mit dem Material zu arbeiten, das ich bereits vorher gesammelt hatte. Aber nichts wollte gelingen. Vier Hämmer zerbrochen – mehrere Male hieb ich mir entweder gegen das Schienbein – oder auf den Daumen. Und ich sage Ihnen, daß es trotz Handschuhen verflucht weh tat. Je mehr Widerstände sich erhoben, desto hartnäckiger und verbissener arbeitete ich… und der Erfolg blieb nicht aus, meine bildhauerische Arbeit wurde von Erfolg gekrönt. Kenner moderner Kunst hätten ihre Freude an den phantastischen Formen und Gegenständen. Was tut’s, jedenfalls erfüllten sie ihren Zweck. Schönheit ist auch nur ein relativer Begriff.
Wahl des Ortes: Tropfsteinhöhle in 250 m Tiefe
Wir legten nun den Tag fest, an dem die Evokation stattfinden sollte und bestimmten den genauen Ort – eine herrliche Tropfsteinhöhle in 250 Meter Tiefe. Auf eine Weihung der Instrumente verzichteten wir – denn dazu jetzt ein eigenes Ritual zu entwerfen, wäre sinnlose Zeitverschwendung gewesen. So begnügte ich mich damit, "Schale", "Dolch" und "Stab" in einer Saturnstunde einige Male mit Schwefel zu beräuchern. An sich stammten die Materialien direkt aus der Natur und niemand außer mir hatte sie berührt.
Astrologisches Timing & Aspekte
Wir hatten die Zeit in eine Montag-auf-Dienstag-Mitternachtsstunde gelegt. Einmal, weil der Mond eine Konjunktion mit Neptun bildete und in dieser Stunde exakt wurde, zum anderen aber, der laufende Mond eine Opposition zu meinem Radix Pluto bildete, während sich der laufende Mars der Konjunktion eben diesem Radix Pluto bis auf zwei Grad genähert hatte. Meiner Ansicht nach direkt ideal für die durchzuführende Operation.
Anmarsch & Einlass in den Berg
Als die Zeit herangekommen war, packte ich alle Utensilien in einen großen Rucksack und abends 20 Uhr pilgerten wir los – beide mit einem eigenartigen Gefühl in der Magengegend. Ich nahm ihre Hand und spürte, daß sie leicht zitterte. Da legte ich erst einmal den Rucksack wieder ab – und nahm meine Frau ganz vorsichtig in die Arme – streichelte ihr rabenschwarzes langes Haar und versuchte ihr Mut zu machen… dabei hatte ich selber verdammt wenig Courage und hätte bald selber jenen gebraucht, der mir gut zuredete.
So standen wir bald eine halbe Stunde da und hielten uns umschlungen, um uns war schon die Nacht und die hohen Fichten sahen düster und drohend aus. Eine unnatürliche Stille herrschte… es war, als schliche etwas Unheimvolles um uns herum. Angst kroch in mir hoch. Ich preßte meine Frau an mich – als müßte ich sie für immer hergeben – ich suchte ihren Mund – dann riß ich mich mit Gewalt aus diesem Bann, warf den Rucksack auf den Rücken, nahm ihre Hand fest in die meine und stapfte, ohne nach rechts oder links zu sehen, Richtung Höhle. Meine große Taschenlampe riß einen gespenstischen Lichtkegel in die Finsternis.
Ankunft, Kuppelraum & Aufbau
Nach mehr als zwei Stunden Marsch – ohne Zwischenfälle – hatten wir den Eingang des unterirdischen Stollens erreicht. Dichtes Haselnußgestrüpp wucherte vor der Öffnung und es war nicht angenehm, sich durchzuquetschen. Ein eisiger Hauch wehte uns entgegen – wie in einer Totengruft. Stumm gehen wir nebeneinander tief in die Eingeweide Mutter Erdes hinein. Plötzlich weitete sich die Höhle zu einer regelrechten Kuppel – das Rund war fast vollkommen. "Hier ist es!", sage ich zu meiner Frau. "Hier ist es! Hier ist es! Hier ist es!…" hallt es schauerlich von den Wänden und erschrocken klammern wir uns aneinander – wie verängstigte Kinder. Unsere Lippen suchen und treffen sich. Endlich können wir das Grauen abschütteln, das sich über uns gelegt hat.
Kreisritual: Fackeln & Dreifachkreis
Mit einem zärtlichen Kuß auf die Nasenspitze mache ich mich von ihr los und stecke neun Fackeln im Kreis an die Wand, die nun, nachdem sie entzündet, blutrot leuchtet, denn ich habe sie vorher mit Strontium behandelt. Dann nehme ich den Steindolch und fahre einen großen Kreis damit ab. In jeweils 30 cm Abstand ziehe ich zwei weitere Kreise, so daß es insgesamt drei sind.
Erster Ring: Saturn-Wesenheiten & Sigillen
In den ersten Zwischenraum der drei Kreise schreibe ich – oder vielmehr kratze ich in den Boden – die Namen der Saturnwesenheiten Agiel, Aratron, Uriel und Cassiel und ihre Siegel. Das Siegel Uriels sieht so aus: [Sigille Uriel]. Die anderen setze ich als bekannt voraus – oder man kann sie in jedem magischen Werke nachschlagen (Nettasheim, Papus, Piobb etc. etc.).
Zweiter Ring: Urmütter & Sigillen
In den zweiten Kreis schreibe ich die Namen der "Urmütter" samt ihren Siegeln:
Heva – Erdmutter [Sigille]
Rea – die Fliehende [Sigille]
Isis – Luna, Brücke zur Transzendenz [Sigille]
Nahema – Todesgöttin – Satana [Sigille]
Hekate – Mutter des Rechts [Sigille]
Proserpina – Göttin der Unterwelt [Sigille]
Ishtar (Astaroth) [Sigille]
Lilith – die schwarze Ishtar – Mutter der Magie [Sigille]
Diese Zeichen also kommen in den zweiten Kreis, d.h. den äußeren.
Materialisationsdreieck & Flammen
In einiger Entfernung zog ich noch einen Kreis, darin ein Dreieck mit der Spitze nach Norden. Dann stellte ich die Dreifüße auf und mit Holzkohlen, Spiritus und Petroleum brachte ich das mitgebrachte Metall zum Fließen und schließlich zum Kochen. Im anderen Dreibein loderte die blutrote Strontium-Flamme. Über dem Metall bildeten sich bizarre Nebelschwaden, die sich in obskuren tanzenden Kringeln ausgerechnet in Richtung Materialisationsdreieck bewegten.
Entkleidung, Rollen & mentale Disposition
Dann zogen wir uns nackt aus und legten die mitgebrachten Mäntel an. Ein Schauer rann mir über den Rücken und – ängstlich griff ich nach den langen schwarzen Haaren Myriams und barg mein Gesicht darin.
[AI-generiertes Image]
Beginn der Operation
Eiskalte Ruhe zog plötzlich in mein Herz. Ich ergriff die Instrumente – richtete mich auf. Myriams Augen trafen die meinen – nun waren es keine Menschen mehr, die im Kreise standen und zagten. Nun stand hier das männliche und das weibliche göttliche Prinzip – bereit, den Teufel aus der Hölle zu holen… die Operation kann beginnen… wir sind bereit.
Lautmagie I: U‑Obertöne
Ich beginne mit der Intonierung des Buchstaben U… und singe ihn so tief als möglich zehn Minuten lang und gehe dann ins Obertönige, welches ich 15 Minuten lang tief singe.
Lautmagie II: Diskant‑I
Dann reiße ich die Stimme hoch ins Diskant mit dem Buchstaben I, den ich fünf Minuten hinter den Zähnen und fünf Minuten mit der Kopfstimme summe.
Aus tiefster Tiefe steigt empor ihr Kräfte Plutos! In tiefster Tiefe hört meinen Ruf, steigt empor transuranos – transuranos – steigt empor.
Uuu (fünf Minuten!).
Jiii (fünf Minuten!).
Plutonische kosmische Kraft ich beschwöre Dich, zeige Dich!
Agiel seid Mittler! Aratron seid Mittler!
Ich rufe Saturnus, den Hüter der Schwelle –
Saturnus, Saturnus, Saturnus (100mal)
öffne die Schwelle zu transuranos.
Öffne die Schwelle zu transuranos.
Uuuu (fünf Minuten)
Jiii (zehn Minuten).
Blutopfer in das kochende Metall - Die Ärmel werden hoch gekrempelt
Jetzt kremple ich den Ärmel des Mantels hoch – setze die Spitze des Steinmessers kräftig an und ziehe nach unten durch. In breitem Strom fließt das Blut an meinen Fingern hinab. Ich halte die Hand über das kochende und brodelnde Metall… es zischt, als sich Blut und Metall mischen. Die Dämpfe, die ansteigen, sind wahrhaft mephitisch zu nennen.
Wiederholung & Verdichtung
Dann beginne ich die ganze Ceremonie nochmals – bis zum Blutopfer. Das zweite Mal sehe ich, wie sich die Dämpfe, wie in einem Abzugskanal, in Richtung Dreieck bewegen und dort in einem langsamen Wirbel sich drehen, ohne jedoch eine feste Form anzunehmen; aber sie verschwinden auch nicht. Stetig dreht sich die Nebelspirale im Dreieck. Manchmal steigt sie bis an die Decke empor, sinkt aber immer wieder zur Erde zurück.
Erschütterung & Vorzeichen
Ich beginne mit der dritten Rufung, dabei steche ich den Steindolch in das kochende Metall. Kaum war dies geschehen, als ich bemerkte, wie der Höhlenboden zu zittern begann und es wie fernes Donnergrollen im Fels zu klingen beginnt. Nach der Mitte der Rufung zu, war das Geräusch schon so stark, daß man kaum sein eigenes Wort hören konnte und als ich nochmals Blut fließen ließ, ging ein fürchterlicher Schlag durch das Gewölbe, daß ich dachte, nun seien wir verloren.
Ein von irgendwoher kommender Windstoß fuhr in die Flammen und wirbelte Staub auf… die Augen begannen zu brennen und beide husteten wir, als kämen wir eben aus der Lungenheilanstalt. Als sich alles verzogen hatte, starrte ich ins Dreieck vor dem Kreis. Ich sehe ganz deutlich, etwas will sich formen. Ich strecke den rechten Zeigefinger gegen das Ding aus, um ihm Öl zu geben, als plötzlich, als sauge ein riesiger Polyp mir plötzlich alles Mark aus den Knochen. Mit Gewalt versuche ich, mich von dem Kreisrand zu zerren – oder zu stoßen. Erschrocken reiße ich den Arm zurück. Augenblicklich hört das häßliche Gefühl auf.
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Materialisations‑ & Bindungsformel
So hebe ich beide Hände über den Kopf und spreche die Materialisationsformel sowie die Bindungsformel:
"Oron chite haloja aroen latistén. Ka eron maggo holler ka nono ka hel. Maguth ka craim he! Yaro… binde! Sat! binde! Elohim binde! Marazoth! binde!! Hoo… binde!! Hu! binde! Amen!"
Dies spreche ich zwanzigmal mit erhobenen Armen. Die Kreisbewegung des Nebels im Dreieck hört auf – das ganze neblige Gebäude sinkt in sich zusammen. Da höre ich einen leisen Aufschrei an meiner Seite: "Sieh doch! sieh doch!" – "Mein Gott" – ich erkenne – ja – und da sehe auch ich es.
Manifestation I: Skorpion‑Wesen
Ein scheußliches "Etwas" steht – wie fürchterlich – vor uns und glotzt uns böse aus Augen an, deren Farbe von Sekunde zu Sekunde wechselt. Es sieht aus wie eine überdimensionale Spinne, – nein – wie ein Skorpion – jetzt erst bemerke ich eine Art Scheren an den Enden der Klauen. Skorpion kann man eigentlich auch nicht sagen – denn das Ding hat ein richtiges Gesicht – ein entsetzliches Gesicht. Jetzt reißt das Ding einen Rachen auf, der jedem Krokodil Ehre gemacht hätte… und ein markerschütterndes Gebrüll dringt daraus hervor.
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Ohnmacht der Partnerin
Ich spüre etwas schwer gegen mich fallen – lieber Himmel. Dany ist in Ohnmacht gefallen. Vorsichtig lege ich sie auf den Boden – dann preße ich mir die Hände gegen die Ohren; denn das Heulen und Brüllen des Wesens ist so stark geworden, daß es an jeder Faser meiner Nerven zerrt. Wut steigt in mir hoch – ohnmächtige Wut… und was tue ich? ich brülle selber… brülle vor Wut wie nie zuvor in meinem Leben… selbst nicht bei Hitlers Kriegsmanövern wo ich schon als Meisterbrüller, besonders bei Flaggenparaden, bekannt war.
Aggressive Gegenreaktion – Wendepunkt
Viel hätte nicht gefehlt und ich hätte mich mit bloßen Fäusten auf das häßliche Ding gestürzt… da mit einem Male ist der ganze Spuk vorüber –
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Manifestation II: Arachthon
Abgrundtiefe Stille herrscht – der scheußliche Skorpion ist verschwunden und vor mir steht – es ist nicht zu fassen – eine menschenähnliche Gestalt – jawohl menschenähnlich. Wohl an die zwei Meter groß, hager, pechschwarzes Haar hängt weit herab und aus steingrauem Gesicht mit äußerst feingeschnittenen Zügen leuchten mich eisgrüne Augen in kaltem Feuer an. Eine Aura aus roter und grüner Flamme umgibt die ganze Gestalt.
Höhnisches Lachen dringt an mein Ohr… dann vernehme ich eine Stimme: "Nun? zufrieden Menschlein? Was willst Du von mir? Warum rufst Du mich – ? Willst Du das traurige Bündel an Deiner Seite sterben? Schau!" Das Wesen hebt die Hand gegen meine Frau – Angst steigt in mir auf und ich umklammere den Steindolch. Noch habe ich eine solche Hand gesehen wie die der Gestalt vor mir. Schneewiß – feingliedrig und langfingrig. Ein heller Strahl bricht aus der Hand hervor und trifft Dany… doch – ich schreie auf… aber es geschieht etwas seltsames… Sie erhebt sich als sei sie nie ohnmächtig gewesen… sieht mich mit großen Augen an und fragt, "…was ist?". Als sie die Gestalt entdeckt, klammert sie sich an mich.
"Ich tue euch nichts, ihr Helden", tönt die hohntriefende Stimme vor uns, "aber nun sprecht schon – was wollt Ihr?" "Man setzt doch nicht das Leben aufs Spiel…" "…ich nicht, und wieder nichts… sprecht! Wie heißt Du?, frage ich. ‚Woher kommst Du?‘
Dialog & Angebot
"Ich heiße Arachthon und komme aus dem dritten Reiche jener Sphäre, die Ihr die Plutonische nennt."
"Willst Du den Pakt, wenn wir etwas fordern?"
Bitte um Macht & Verratswarnung
"Pakt?? was ist das? Fordern? Wer will etwas von uns fordern – bitten ja – fordern? So bitte ich Dich um die Macht, über Menschen zu herrschen – Macht, Herr einer Organisation zu sein, einer okkulten Gruppe, die wiederum Macht in drei Reichen darstellt, und jene Macht möchte ich teilen mit meinem Weibe hier an meiner Seite!"
"Ist das alles?"
"Ja!"
"Das Weib soll die Macht mit Dir teilen?"
"Du hirnverbrannter Narr?!"
"Ja!"
"Sie wird Dich dereinst verraten Menschlein!, vielleicht töten – stürzen – Das Weib der Menschen ist nicht geschaffen, Macht in den Händen zu halten – Willst Du es immer noch?!"
"Ja!, ich vertraue ihr – Sie ist mein zweites Ich."
"Es sei also."
"Aber nun will ich gehen."
"Oh – ich kann allein gehen! Deine Lapperei von Formel kann nicht halten, noch entlassen! Erschrick nicht, wenn ich mich wandle…"
"Halt!! Halt!! Noch eine Frage… wann kann ich Dich wieder rufen?"
"Nie wieder Mensch… oder Du stirbst… nie wieder!"
Auflösung & Rückzug
Die Figur vor uns begann sich zu verzerren. Ein schrecklicher Umwandlungsprozeß vollzog sich vor unseren Augen und in wenigen Augenblicken hockte wieder jener häßliche Skorpion vor uns und… und… mir sträubten sich die Haare… und verließ seelenruhig das Dreieck – kroch auf die nächstliegende Höhlenwand zu – drehte sich noch einmal um, stieß ein durchdringendes Geheul aus… dann verschwand er ganz einfach in der Wand.
[AI-generiertes Image]
Nachwirkungen: Grollen, Flucht
Im Berg begann es zu grollen – der Boden unter unseren Füßen zitterte und bebte. "Los, Dany", rufe ich, "umziehen! Sachen packen und nichts wie raus!… Huf! auf! schnell!! Ich glaube, so schnell sind wir noch nie fertig gewesen mit Umziehen und Packen. Die Fackeln lasse ich stecken – Die heißen Dreifüße kann ich ja noch später abholen… glaube ich. Das Grollen im Berg wird stärker und Staub rieselt von den Wänden. Mein Handscheinwerfer flammt auf… und dann rennen wir – rennen, als sei ein ganzes Sammelsurium von Teufeln auf unseren Fersen.
Und in der Tat… ist es vielleicht nicht so? Es heult – jault – keucht und krächzt… um uns… hinter uns – über uns. "Nicht zurückschauen!", brülle ich – "lauf, was Du kannst!"
Schweißgebadet erreichen wir beide den Ausgang der Höhle und als wir im Freien stehen, ist alles vorüber… es herrscht eine Totenstille im Wald – und man hört nichts als das Keuchen unserer strapazierten Lungen. Erschöpft lasse ich mich auf einen Steinbrocken nieder und angle im Rucksack nach der Armagnac-Flasche – setze an – Pfui Teufel! Brr! Petroleum!! Mit einem kräftigen Fluch werfe ich die Buddel an einen Baum und lange mir die richtige Flasche… für einen Augenblick glaube ich, aus der Richtung in der ich die Erdölflasche geworfen habe, ein meckerndes Lachen zu hören – aber ich kann mich auch täuschen.
Rückkehr, Spiegelbild & Nachklang
Als wir wie zerschlagen zuhause ankommen, ist es schon heller Tag. Im Dorfe begegnen uns die Bauern, die das Vieh auf die Weide treiben. Sie stieren uns an, als seien wir Marsmenschen und sicher wird sich mancher von ihnen – hinter unserem Rücken – natürlich, gegen die Stirne getippt haben.
Verrückt – dieser unheimliche "Bochel" und seine nicht minder unheimliche französische Frau.
Als ich in einen Spiegel sehe, wird mir erst klar, warum wir so "komisch" wirkten. Daß uns "das" nicht auch aufgefallen ist! "Mon dieu" – sicher sind rußverschmiert und auf den Haaren liegt grauer Staub vermengt mit Rußflocken – grauenhaft.
Im Schlafzimmer schauen wir uns an und brechen dann gleichzeitig in ein befreiendes Gelächter aus. Die Gammler unter den Brücken von Paris sind die reinsten Adonisse gegen uns. Mehr tot als lebendig fielen wir in die Betten und schliefen – schliefen – schliefen.
Nachricht: Höhleneinsturz & heiße Quelle
Zwei Tage später holte uns mein Schwager ab und wir fuhren nach Paris zurück. Wiederum zwei Tage später erhielten wir die Nachricht von den Bauern, deren Haus wir gemietet hatten, daß jene Höhle eingestürzt sei – der Eingang total verschüttet und daß kurz vor dem Eingang eine heiße Quelle aufgesprungen sei. Zufall? Nicht Zufall!? Wer will das wissen?
[AI-generiertes Image]
Nachwort
Wie eingangs skizziert, steht Wolthers Pluto-Ritual nicht isoliert im luftleeren Raum eines einsamen Magiers mit einer einmaligen Vision. Es steht am Schnittpunkt mehrerer deutschsprachiger Strömungen, die sich um 1960 überlagern: Okkultlehren, Schundliteratur über "Schwarze Messen", westdeutscher Kriminal- und Gothicfilm, populäre Science-Fiction-Heftromane und die beginnende Rhetorik von der Droge als Bewusstseinsschlüssel. Wolther muss für diese Mixtur kein Englisch sprechen. Alles Rohmaterial liegt in seiner Reichweite – in deutscher Sprache, im Kino, am Kiosk, in der eigenen Loge.
[AI-generiertes Image]
Das Jahr ist 1962/63. Ob das wirklich stimmt, oder das Manuskript aus Legitimationsgründen rückdatiert ist, bleibt ungewiss. Diese Jahre sind ein Kipppunkt. Die restaurative, spießig-saubere Fassade der 1950er ist noch nicht kollabiert, die revoltierende Pop-Bewusstseinsoffenheit von 1968 noch nicht eingeläutet. Aber: der Markt für Grenzüberschreitung ist da. Der deutschsprachige Raum giert nach Skandal, Verbot, verbotenen Kulten, Geheimbünden und Sexualmagie als Schreckensversprechen. In genau diesem Klima schreibt und inszeniert Wolther sein sogenanntes Pluto-Ritual.
Um zu verstehen, wie dieses Ritual funktioniert – rhetorisch, ikonografisch, machttechnisch –, muss man fünf Bild- und Bedeutungsebenen neben- oder übereinander legen.
Erstens: die Fraternitas Saturni als innerdeutsche Tradition.
Zweitens: das westdeutsche und europäische Genrekino um 1960.
Drittens: die Science-Fiction- und Gruselheftchen-Serienkultur (zum Beispiel Perry Rhodan).
Viertens: die deutschsprachige Skandal- und Enthüllungsliteratur über "Schwarze Messen"
und Fünftens: der frühe Bewusstseins- und Drogen-Diskurs.
Wolther nimmt all das und schweißt es zu einer einzigen, behaupteten "Erfahrung" zusammen, die ihn legitimieren soll.
Die erste Grundlage liegt direkt vor seiner Haustür: die Fraternitas Saturni.
Wo die F.S. Saturn als einen der äußeren Randpunkte der Bewusstseinsarbeit markiert (mit Jupiter als Ziel), greift Wolther ein paar Planeten weiter – zu Pluto, der seit 1930 als Planet gilt (erst 2006 wird er zum Zwergplaneten zurückgestuft).
Pluto ist in seiner Erzählung der Bereich jenseits der anerkannten Grenze. Das leistet rhetorisch zwei Dinge: Erstens kann er sich als derjenige inszenieren, der dorthin vorgedrungen ist, wo selbst seine Vorgänger nie waren. Zweitens verwandelt er die Sexualmagie der F.S. in eine existenzielle, fast kosmische Verhandlungssituation: Er behauptet, er habe Kontakt zu einer außerirdisch-planetaren Intelligenz aufgenommen, die nach eigenen Gesetzen operiert. Und er bindet diesen Kontakt an körperliche, psychische und chemische Grenzerfahrung: Rauch, Gase, Angst, Blut, Schmerz, Ohnmacht. Das ist kein kontemplatives Gebet, das ist Crash-Mystik.
Dazu gehört eine bestimmte Frauenfigur, die schon in der Tradition der F.S. latent da ist und bei Wolther radikalisiert wird: die Frau als Schwelle, nicht als Beigabe. Die Saturn-Magie kennt die Figur der gefährlichen weiblichen Macht – nicht nur als erotische Priesterin, sondern als tödliche Grenze, durch die man durch muss. Wolther steigert das zur Skorpionfrau: eine weiblich codierte, zugleich sexuelle und tödliche Entität, die als Kanal zu Pluto dient. Weibliche Körperlichkeit wird zum Zugangstor der jenseitigen Macht. Das ist nicht die christliche "Hexe als Feind" und nicht die "heilige Geliebte", sondern eine hybride, planetarisch-sexuelle Instanz, die Macht austeilt. In seiner Logik: Miriam wird nicht nur Medium, sondern Schwellenkörper. Wer diese Schwelle kontrolliert (oder behauptet, zu kontrollieren), kontrolliert die Macht.
Das ist das typische sexualmagische Stereotyp. Ob im O.T.O. oder sonstwo: die Frau ist der Kelch. In ihn und aus ihm strömen Säfte und / oder Worte.
Parallel zu dieser Traditionsschiene läuft die Bildsprache des Kinos jener Zeit. Ende der 1950er und frühen 1960er entsteht im deutschsprachigen Raum ein klarer Horror- / Okkult-Look, gespeist aus drei Quellen: britischer Hammer Horror (in deutscher Synchronfassung schnell präsent, etwa The Devil Rides Out, Regie Terence Fisher, 1968), italienischem Gothic-Horror (Mario Bava etc., ebenfalls eingedeutscht, z. B. La frusta e il corpo / The Whip and the Body, Regie Mario Bava, 1963), und den in Westdeutschland produzierten Edgar-Wallace-Kriminalfilmen, wo Mönche mit Peitschen durchs Gemäuer oder dunkle Gärten wuseln (am deutlichsten in Der Mönch mit der Peitsche, Regie Alfred Vohrer, 1967).
[Ich selber habe in den 1980er Jahren mehrmals an Logentreffen des Ordo Saturni, einer der Splitterversionen der F.S., teilgenommen, die in angemieteten Burgkellern stattgefunden haben und man anschliessend auf den benachbarten Friedhöfen herumgeschlichen ist. Und mir hat Mitte der 80er Jahre ein mittlerweile sehr angesehener Sammler, Autor und Herausgeber genüsslich berichtet, er habe etwas Ähnliches in den 1970er Jahren zusammen mit Wolther gemacht, nämlich auf einem Friedhof Totenschädel ausgegraben.]
Die Hammer-Produktionen liefern eine Ästhetik, die man heute sofort erkennt: unterirdische Räume, feuchte Steinwände, Tropfsteinhöhlen, Fackelschein, giftig anmutende Dämpfe in warmen Gelb-, Rot- und Grün-Tönen. In diesem Setting inszeniert Hammer rituelle Kulminationen: Ein Mann – Gelehrter, Kultführer, Besessener – steht mit erhobenen Armen und ruft etwas Unsichtbares oder Halb-Sichtbares herbei. Eine Frau, oft in einer Spannung aus Opferrolle und dämonischer Übernahme, wird zum Medium. Das Ganze eskaliert, Flammen schlagen hoch, der Raum droht einzustürzen, die Situation entgleist. Diese Szenen sind nicht ruhig, sie sind gebaut wie Höhepunkte eines Thrillers.
Wolthers Pluto-Schilderung klingt exakt so. Er spricht von einer Höhle, von Qualm, von einer Frau, die zur Manifestationsfläche einer fremden Macht wird, und von ihm selbst, der ruft, dirigiert, beschwört. Das ist kein nüchternes Ritualprotokoll, das ist ein drehbuchartiger Showdown. Man kann das fast in Einstellungen zerlegen: Totale der Grotte, Close-up der verzerrten Gesichter, Low Angle auf die beschworene Entität, die dramatische Lichtquelle von unten (Feuer, Gas, alchemische Reaktion), und schließlich der Zusammenbruch der Szenerie. Wolther denkt sein Ritual visuell wie eine Kulminationsszene im Farb-Horror der frühen Sechziger – aber erzählt es als Realität.
Aber Hammer hätte nie Pluto als extradimensionalen Kontaktpunkt via radioaktivem Antimon angerufen. Wolther geht einen Schritt weiter. Die Haltung der beiden Protagonisten ist ebenfalls verschieden.
Bei Hammer gibt es oft den magisch Wissenden (älterer Gentleman, adliger Okkultgelehrter) vs. das wehrlose / vulnerable Opfer. Hier aber sind es zwei Praktiker. Sie sind ein eingespieltes Team. Sie sind methodisch. Sie reden über Timing (Mond / Neptun-Konjunktion), Isotopenzusätze, Toxic Fumes, Schutzgeometrie. Das wirkt eher wie "wir sind ernsthafte paranormale Forscher" als "wir sind Opfer satanischer Verführung". Das ist näher beim "scientific ritual horror" der 70er Spätphase, fast schon ein Vorgriff auf die italienische, französische oder kanadische Okkult-Splatter-Ästhetik der frühen 80er.
Wolthers Monster erscheint zunächst riesenhaft und krustig, skorpion- und spinnenartig, mit Klauen und Krokodilschlund. Dann verwandelt es sich metamorph in eine zwei Meter hohe, pechhaarige, steingraue, androgyn-grausame Intelligenz in roter und grüner Aura, die höhnisch über Machtstrukturen verhandelt: "Ich gebe dir Herrschaft, aber das Weib wird dich verraten."
Das ist die Figur eines "außerirdischen Dämons als Machtunterhändler". Sie könnte direkt aus einem Film der Jahre 1979–1985 stammen, in denen Dämonologie und Science-Fiction ineinander greifen, etwa in späten esoterischen Gialli wie The Visitor (Regie Giulio Paradisi, 1979) oder Inferno (Regie Dario Argento, 1980), und in John-Carpenter-Welten wie The Thing (Regie John Carpenter, 1982) oder – etwas später, aber programmatisch – Prince of Darkness (Regie John Carpenter, 1987). Die Hammer-Produktionen selbst sind kaum so kühl verhandlungsorientiert. Ein Satz wie "Gib mir Macht über Menschen, ich will eine okkulte Organisation mit Struktur in drei Reichen" wirkt eher wie ein post-68er Machtmythos als wie ein viktorianischer Teufelspakt.
Neben Hammer dringt in Westdeutschland zur gleichen Zeit italienischer Giallo-Gothic-Horror ein, etwa La maschera del demonio / Black Sunday (Regie Mario Bava, 1960), La frusta e il corpo / The Whip and the Body (Regie Mario Bava, 1963) oder Lo spettro / The Ghost (Regie Riccardo Freda, 1963). Diese Filme, oft mit Hexen, verfluchten Frauen, wiedererweckten Toten, liefern einen anderen, aber verwandten Baustein: die Frau als dämonische Rachekraft. Sie ist nicht bloß passive Gefesselte, sie ist die Rückkehrende, die Inkarnation des Fluchs. Sie ist erotisch markiert und zugleich tödlich. Auch das spiegelt sich bei Wolther: Seine Skorpionfrau ist die Verkörperung einer außerirdischen, strafenden Intelligenz. Das rechtfertigt seine Pose als Mann an der Schwelle: Er allein hält diese Macht in Schach, er allein wagt den Handel.
[AI-generiertes Image]
[AI-unterstütztes Mock-Intro]
Und dann sind da die Edgar-Wallace-Filme der BRD ab 1959. Offiziell sind das Krimis, aber die Bildpolitik ist eine andere. Die Wallace-Filme leben von Kellerverliesen, Geheimräumen, maskierten Geheimbünden, halblichtigem Ritual und Frauenkörpern, die als Warnbild der Gewalt gezeigt werden: gefesselt, bedroht, psychisch gebrochen. In dieser Bildgrammatik erscheint die Frau nicht als gleichberechtigte Akteurin, sondern als Mittel, Macht zu demonstrieren. Manchmal werden Großaufnahmen von schreienden Frauengesichtern mit weit aufgerissenen Augen gezeigt. Männer im Halbdunkel üben Kontrolle aus, sie verfügen über das Geheimnis und über den Körper, und sie signalisieren der Zuschauerin / dem Zuschauer: "Wir stehen über dem Gesetz, weil wir den verbotenen Code kennen." Das ist im Kern ein Fetisch: Geheimbund-Macht durch Inszenierung des verbotenen Wissens am fremden Körper.
Wolther wiederholt genau diese Fantasie, nur verschiebt er den Kontext von Gangsterloge zu "planetarer Initiation". Die Rolle ist identisch: Er inszeniert sich als Dirigent der unsagbaren Schwelle, Miriam als Ort der Inkarnation, die Szene als Keller / Höhle, das Ganze als geheimer Ritus, dessen Zeuge nur er sein durfte. Es ist Wallace-Ästhetik, nur mit Okkultüberbau.
[AI-generiertes Image]
Die dritte Säule ist die deutschsprachige Science-Fiction- und Gruselheftchen-Lawine, vor allem Perry Rhodan. Diese Heftromanserie startet 1961 – also unmittelbar vor Wolthers behauptetem Pluto-Ritual – und ist auf Deutsch, billig, überall, kurz: ein Groschenheft. Perry Rhodan erzählt Woche für Woche von Kontakten zwischen Menschen und überwältigenden außerirdischen Intelligenzen. Diese "Hohen Mächte" sind nicht christlich-moralisch, sondern übermenschlich, technisch, kalt. Mutanten. Seltsame Roboter. Menschen schließen Pakte, übernehmen gefährliches Wissen, werden verändert und kommen als Auserwählte zurück. Schauplätze sind oft lebensfeindliche Umgebungen: fremde Planeten, Kontaminationszonen, unterirdische Basen mit giftiger Atmosphäre, Kammern voller Strahlung und toxischer Dämpfe. Die Helden gehen hinein, riskieren alles, und kehren zurück als Träger eines neuen Status.
Diese Struktur legt Wolther eins zu eins über seine Höhlenerzählung. Pluto ist eine planetare Überintelligenz, eine Souveränität jenseits menschlicher Moralordnung. Die Höhle wird zum außerirdischen Labor. Giftige Dämpfe, Ohnmacht, beinahe Tod sind nicht Strafe, sondern notwendige Eintrittsgebühr. Und er selbst tritt aus diesem Raum wieder hervor, mit dem Anspruch, fortan legitime Autorität zu sein. Das ist Perry Rhodan in esoterischer Umschrift: Die außerirdische Allianz wird zur Beschwörung; der Kontaktversuch ist ein Ritual; der Rückkehrer, der das überlebt, ist fortan Führungsfigur. Wolther erzählt seine eigene Karriere als magisch-soteriologische Science-Fiction: "Ich habe mit Pluto verhandelt. Jetzt bin ich der Einzige, der Pluto versteht."
Wolthers Konkurrent Johannes Maikowski ist von Anfang an begeisterter Leser der Perry Rhodan-Serie, die seit 1961 wöchentlich an den Kiosken zu kaufen ist. Er ist dermaßen fasziniert von diesen Heftchen, "dass ich am Hausofen mit dem Rücken angelehnt im Keller gesessen habe, PR gelesen habe, und nicht mal gemerkt habe, dass meine Jacke hinten angebrannt war." (E-Mail vom 22.9.2009.) Ab 1998 verfasst Maikowski einen okkult-pornographischen Roman
"Perry Rhodan". Dieses Werk ist eine theoretische Interpretation seiner manchmal katharisch interpretierter Lebensweise, die asketische sperma–gnostische Praktiken und gesellschaftliche Tabus streift. Dazu verfasst er viele Collagen.
Vierte Säule: die deutschsprachige Skandal- und Enthüllungsliteratur zur "Schwarzen Messe".
Seit den 1960er-Jahren kursiert im deutschsprachigen Raum eine kleine Welle von Skandal- und Enthüllungsliteratur zur "Schwarzen Messe" – von populären Sachbüchern wie Gerhard Zacharias’ Satanskult und Schwarze Messe (Erstausgabe: Wiesbaden, Limes Verlag, 1964) bis hin zu Gruselheftreihen wie Geister-Krimi Nr. 66 Die schwarze Messe in Yukatan und Silber-Krimi / Butler ParkerParker liest die schwarze Messe (Butler Parker Nr. 106, in der Nummernchronologie als Silber-Krimi 860 geführt), die mit quasi-dokumentarischem Ton auftreten, aber klar als Fiktion verkauft werden. Hier ist anzumerken, dass "Gerhard Zacharias" laut Oscar R. Schlag ein Pseudonym von Charles Waldemar gewesen sei. Sein Buch von 1964 richtet sich klar an ein breiteres Publikum; die Verlagsankündigungen betonen Schwarze Messen, angebliche Satanskulte, die "Nachtseite des Christentums" etc. Der Band liefert ausführliche, teils sexualisierte Beschreibungen von "Schwarzen Messen", kombiniert mit moralisierender und religiös-psychologischer Rahmung.
Besonders interessant ist die Anthologie Schwarze Messen. Dichtungen und Dokumente (Hanser Verlag, München 1970) herausgegeben von Ulrich K. Dreikandt, die Texte zur Schwarzen Messe von der Frühen Neuzeit bis ins 20. Jahrhundert sammelt. Der Band macht sichtbar, dass Schwarze Messen seit dem 19. Jahrhundert ein wiederkehrendes Motiv der Sensationsliteratur und des Skandal-Diskurses sind; schon der Untertitel "Dichtungen und Dokumente" spielt mit der Grenze zwischen Fiktion und vermeintlichem Tatsachenbericht.
Diese Bücher sind zwar keine Kiosk-Heftchen, aber sie bedienen denselben voyeuristisch-moralisierenden Hunger: viel Detail über "Teufelskulte", mit dem Versprechen authentischer "Dokumente".
[Anmerkung: Kein AI-generiertes Image]
Schwarze Messen. Dichtungen und Dokumente (Hanser Verlag, München 1970), herausgegeben von Ulrich K. Dreikandt.
Umschlag von Uwe Bremer.
[Die von Bremer signierten Lithographien zu diesem Umschlag hängen, zusammen mit mehreren Dutzend weiteren, an der Wand, die in meinen Keller hinabführt.]
Solche Heftchen und Bücher bieten angebliche Einblicke in sogenannte satanische Zirkel, orgiastische Riten, Blutopfer und sexuelle Erniedrigung. Das Muster ist immer das gleiche. Die Erzähler sprechen in der Ich-Form: "Ich war dabei. Ich habe es gesehen. Es geschah in einem Keller irgendwo in unserer Stadt." Die Texte sind kalkulierterweise halb Porno, halb Moralpanik. Sie beschreiben sadistisch aufgeladene Szenen im Detail, behaupten dann, es handle sich um eine authentische Enthüllung, und liefern zum Schluss künstliche Empörung ("Wie konnte das nur geschehen, oh Sittenverfall!"), sodass der Verkauf juristisch als Aufklärung durchgeht.
Wolthers Pluto-Ritual besitzt genau diesen Tonfall – nur ohne Reue. Er schildert intime, gewaltsam-körperliche Vorgänge, Blut, Schmerz, Kontrollverlust, bewusstseinsschmelzende Zustände. Die Frau wird exponiert, ausgeliefert, durchdrungen von einer fremden Macht. Er selbst hält behauptetermaßen den Rahmen, steuert, ruft, beschwört. Und am Ende ist die Pointe nicht "Wie schlimm das war", sondern "Das ist der Grund, warum ich jetzt die Autorität bin." Wolther übernimmt die Pose des Enthüllers, dreht aber die Moral. Er ist nicht der traumatisierte Zeuge, sondern der geweihte Überlebende.
Fünfte Ebene: der Drogen- und Bewusstseinsdiskurs. Schon vor 1963 gibt es im deutschsprachigen Raum eine ernsthafte und halb-esoterische Beschäftigung mit Meskalin, LSD, Bewusstseinserweiterung. Aldous Huxleys Drogenberichte werden schnell übersetzt, psychiatrische Experimente mit Meskalin finden in deutscher Fach- und Populärliteratur Widerhall, parapsychologische Zirkel diskutieren Halluzinogene als Tore zu "anderen Ebenen". Die Idee, dass chemische Substanzen das "Tor" im Geist aufsprengen, gehört also schon zum Repertoire. Wolther schickt Kropp 1966 Meskalin und beschreibt in seinem Ritual Szenen voller Dampf, Gas, ätzender Ausdünstungen, körperlicher Kollaps, Vision. Das Ritual ist damit kein rein symbolisch-liturgischer Akt mehr. Es klingt wie ein Experiment: Wir setzen Substanz X frei, wir treiben den Körper in Panik, wir lösen Halluzinationen aus, und dann tritt eine "andere Intelligenz" durch den Körper hervor. Das ist nicht mehr katholische Blasphemieästhetik, sondern parapsychologische Versuchsanordnung der frühen 60er. Im Subtext: Drogen als Technologie der Grenzüberschreitung.
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Fasst man das zusammen, bekommt man eine präzise Verortung. Die Fraternitas Saturni liefert die ideologische Matrix: Sexualmagie, Grenzerfahrung, planetare Intelligenzen, Macht durch Tabubruch. Die westdeutschen Edgar-Wallace-Filme und die importierten Hammer- / Gothic-Produktionen liefern die visuelle Grammatik: Höhle, Fackellicht, Mann beschwört, Frau als Medium, Einsturz, Rauch. Perry Rhodan liefert die kosmische Erzählstruktur: Kontakt mit einer überirdischen, amoralischen Intelligenz außerhalb des Sonnensystems, die einen Auserwählten "zeichnet". Die Literatur über Schwarze Messen liefert den Tonfall der behaupteten Authentizität: Ich war dabei. Ich habe gesehen, was niemand sehen darf. Und der Drogen-Diskurs liefert die pseudo-wissenschaftliche Oberfläche: das Ganze ist ein Experiment, nicht nur Okkultismus.
Das Ergebnis ist Wolthers Pluto-Ritual: ein hybrides Konstrukt aus Logendoktrin, Popkino, Kiosk-Science-Fiction, erotisiertem Okkult-Krimi und chemischer Bewusstseinsguerilla der frühen 60er Jahre. Der Schauplatz – die Tropfsteinhöhle, die giftigen Schwaden, die Frau als Skorpionwesen, er als ruferischer Mann, der die Grenzerfahrung "beherrscht" – ist nicht einfach eine theologische Vision. Es ist eine Montage. Es ist die Verdichtung dessen, was seine Gegenwart ihm gegeben hat: geheime Logen als Machtbühne, weiblicher Körper als Medium des Schreckens, außerplanetare Intelligenz als Quelle neuer Autorität, Drogen als Tor, Einsturz als Beweis der Gefahr.
Wolthers Behauptung lautet: Das ist alles wirklich passiert. Aber seine Bildsprache verrät, dass er wie ein Regisseur erzählt. Er baut eine finale Beschwörungsszene wie ein Film, er positioniert sich wie ein Held aus Perry Rhodan, er nutzt die Frau wie ein Wallace-Schurke, er denkt die Machtfigur wie ein Saturn-Magier und er verkauft das Ganze dann an seine Umgebung als Zeugnis seiner Einzigartigkeit. Diese Konstellation erlaubt ihm später, in der Fraternitas Saturni Führungsansprüche zu erheben: Wer Pluto beschworen hat, darf führen.
So gesehen ist das Pluto-Ritual keine bloße okkulte Fantasie, sondern ein Produkt seiner Zeit: ein deutschsprachiges, kommerziell geprägtes, visuell kodiertes, machtorientiertes Narrativ. Es trägt die Narben der Nachkriegszeit (Miriam als traumatisierte Frau, er als prekärer Mann am Rand der bürgerlichen Ordnung), die Obsession der BRD mit Geheimbünden und Verbotenem, die Schwarzweiß-Ästhetik von Kerker und Fessel, die Farben der importierten Horrorfilme und die kosmischen Allegorien der neuen Heft-SF. Wolther ist also nicht der einsame dunkle Mystiker aus dem Nichts, sondern ein Sammler. Er nimmt, was schon da ist, montiert es, übersteuert es – und erklärt es zur Wahrheit.
Was bleibt vom "Pluto‑Ritual", wenn man den Nebel aus Giftgas, Hammer‑Licht und Schundliteratur abzieht? Eine Inszenierung von Machtgewinn über Grenzerfahrung, eine Ordnung der Gefühle durch das Vokabular des Okkultismus.
Es stellen sich ganz grundsätzliche Fragen:
Wie genau finanziert ein arbeitsloser Chemiker solche Unternehmungen – Reisen, Übernachtungen, die Beschaffung der Chemikalien, das Know-how und die Ausrüstung, um tief ins Berginnere hinabzusteigen? Der Text nennt drei Reisen bzw. Operationen: Pluto in den Pyrenäen (Cauterets), Uranus an der baskischen Küste und Neptun in der Camargue. Zur Chemikalienbeschaffung gibt es nur eine konkrete Angabe: Antimon "besaß ich noch in reichlichem Maße von meinen ersten Besuchen aus dem Cantal her". Und wie soll all dies unbeobachtet geblieben sein?
Ob einzelne Details faktisch "stimmen", ist weniger entscheidend als die Wirkung der Erzählung im sozialen Feld. Wer das Ritual liest, liest zugleich eine Bewerbungsschrift um Deutungshoheit.
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Die Sprache des Pluto-Textes
Die Sprache des Pluto-Textes konstruiert den Erzähler als souveräne Ich-Instanz, die prüfend zögert und sich zugleich demonstrativ exponiert. Gleich zu Beginn überblendet sich nüchterne Selbstdistanz ("ich ging mit äußerster Skepsis ans Werk") mit heroischer Exklusivbehauptung ("erstmalig durchgeführt"). Diese Doppelpose – kühler Prüfer und waghalsiger Held – trägt den Text und begründet seinen Autoritätsanspruch: Wer so erzählt, will zugleich glaubwürdig erscheinen und einzigartig gelten.
Auffällig ist die systematische Mischung verschiedener Register. Technisch-wissenschaftliche Vokabeln ("empirische Magie", "vierdimensionales Einsteinkontinuum", "Radix Pluto", "Thoriumoxyd", "Antimon") stehen ohne Übergang neben kabbalistisch-okkultem Jargon (Agiel, Aratron, Lilith, "Materialisationsformel") und einem pulpigen Abenteuer-Ton mit Ausrufen, Geräuschwörtern und Slapstick ("Millionensakrament!!", "Pfui Teufel! Brr! Petroleum!!"), die körperliche Reaktionen inszenatorisch in Szene setzen. Dieser Code-Switch ist nicht unbeholfen, sondern programmatisch: So entsteht der Eindruck, das Ritual sei zugleich naturwissenschaftliches Experiment, magische Operation und Abenteuerbericht. Die Grenze zwischen Protokoll und Fiktion verwischt — Laborbericht trifft Gruselheft.
Der Rhythmus ist kinologisch. Kurze, parataktische Action-Beats und gedehnte Beschwörungsphrasen wechseln sich ab; Ausrufe, Ellipsen und Parenthesen ("fünf Minuten!", "zwanzigmal") takten die Szene wie Schnittmarken. Geräusch und Geste werden protokolliert ("Donnergrollen", "Windstoß", erhobene Arme), die direkte Rede wird demonstrativ eingestreut ("Ich sage Ihnen …"), als würde der Erzähler den Leser in Echtzeit dirigieren und als Zeugen einbinden. Rhetorisch entsteht so weniger eine Liturgie als eine Klimax-Sequenz, der Eindruck eines mündlich vorgetragenen Erlebnisberichts.
Die Bildwelt bedient bewusst die bekannten Topoi: Tropfsteinhöhle, Fackellicht, Qualm, "giftige Dämpfe", Einsturzgeräusche; eine Erscheinung als Skorpion- / Spinnenhybrid mit "eisgrünen Augen" und rot-grüner Aura. Das ist Klischee — aber zielgerichtet eingesetzt. Der Text will nicht originär metaphorisieren; er will Wirkung. Kitsch ist hier Methode: übersteuerte, sofort lesbare Ikonen, die das Versprechen "gleich geschieht etwas Verbotenes" visuell absichern.
Bemerkenswert ist die sprachliche Direktheit: Es fehlen Verschleierungen oder symbolische Umschreibungen; der Machtwunsch wird unverblümt formuliert. Der Text kennt kein nachträgliches moralisches Abrücken: Die Erzählung strebt auf eine Selbstlegitimation zu, nicht auf Reue oder Distanz. Diese Direktheit ist sprachlich fast naiv, aber strategisch: Die Szene dient der Selbstkrönung. Wo Enthüllungsprosa sonst oft am Ende moralisch zurückzuckt, bleibt der Erzähler bei seiner Krönungspose — kein Schauder, sondern Weihe.
Neben Pathos erlaubt sich der Text komische Selbstentwertungen: der flapsige Vergleich von Armagnac und Petroleum, die Klage über "arme Finger", Randbemerkungen über Pariser Brücken-Gammler. Dieses Querlächeln verschiebt das Große ins Camp: ernst gemeinter Überwältigungswille mit einem Schuss schundigen Witzes. Gerade diese Mischung stabilisiert das Tempo — das Monumentale wird nicht schwer, sondern bleibt beweglich.
Die magischen "Formeln" arbeiten als Lauttechnik, nicht als Poesie. Barbarische Namen und phonetische Ketten ("Onia… Heva!!") werden mit Zeit- und Wiederholungsangaben versehen. Das ist funktionaler Kitsch: DIY-Liturgie, die mehr mit Drill als mit Dichtung arbeitet. So entsteht der Charme eines Handbuchs, das zugleich Bühnenregie ist.
Handwerklich schwankt der Text zwischen Stakkato und schwerfälliger Parataxe. Gleichzeitig ist die Gesamtanlage der Register-Mischung eigenwillig genug, um nicht bloß epigonal zu wirken: originell in der Kreuzung, konventionell in den Motiven.
Historisch-ästhetisch steht die Sprache erkennbar in einer Tradition: deutschsprachige Enthüllungs- und "Schwarze-Messe"-Berichte, Groschen-Abenteuerprosa, der Gestus des "Ich war dabei". Neu ist der para-wissenschaftliche Anstrich — der Laborjargon, der die Beschwörung wie ein Experiment rahmt. Genau aus dieser Reibung gewinnt der Text seine Wirkung: ein campiges, pulp-okkultes Selbstmythologisierungs-Protokoll, das sich als Tatsachenbericht ausgibt, dabei aber die rhetorischen Mittel dessen benutzt, was man damals als Schund bezeichnen könnte.
Was verstand die Allgemeinheit damals unter diesem Begriff?
Heftromane / "Groschenhefte" gibt es seit dem späten 19. Jahrhundert. Bereits seit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde zwischen "höherer" Unterhaltungsliteratur und als "Schund" stigmatisierten Heften unterschieden: Buchhandlungen führten meist nur solche Unterhaltungstitel, die aus ihrer Sicht ein angemessenes Niveau erreichten, und lehnten den Vertrieb trivialer Schriften oft ab.
Schundheftchen: abwertende Bezeichnung für billige Heftromane und Comics der Trivialliteratur, die in hohen Auflagen und zu niedrigen Preisen vor allem im Zeitschriftenhandel, an Bahnhofsbuchständen, Kiosken und – später, in den 1960er-Jahren – auch in Kaufhäusern und größeren Supermärkten erhältlich waren.
Liebhaber des Trivialen wurden nicht nur an den Kiosken fündig, sondern auch in Antiquariaten. Oder in Frisörläden, wo Comic- und Trivialheftchen zuhauf herumlagen.
Und bald konnte man in Deutschland an keinem Bahnhofskiosk mehr vorbeilaufen, ohne dass einem mindestens ein solches Heftchen ins Auge sprang.
[Achtung: Dies ist kein AI-generierter Umschlag.]
Dan Shocker's Macabros, Nr 32, Jürgen Grasmück, Kreatur der Verdammnis, Zauberkreis, Rastatt, 6.1.76. Umschlag Rudolf Sieber-Lonati.
[Und bei mir zu Hause stapeln sich rund 22 Meter solcher Heftchen; außerdem hängen an meinen Wänden oder stehen auf den Bücherbeigen ein paar Dutzend Originalzeichnungen und Cover-Gemälde – Cover Art / Pulp Painting.]
"Nahema! Nahema! Uuu! Ole-Ona-Uüä-Uuu! Aie, Aonie, Lilith, Lilith! Lilith! Oron chite haloja aroen latistén. Ka eron maggo holler ka nono ka hel. Maguth ka craim he! Yaro… Sat! Elohim! Marazoth!! Hoo…!! Hu!!!" Hallo! Hier spricht die Skorpionfrau! – Guido und Miriam Wolther inszenieren die optische Ästhetik der Trivialunterhaltung der frühen 1960er-Jahre so auffällig, dass Edgar-Wallace-Filme, Science-Fiction- und Gruselheftchen wie Vorlage und Bedienungsanleitung zugleich wirken. Wolthers sogenannte "Pluto-Evokation" ist ein Ritual aus Chemie, Popkultur-Bildwelten und interner Logenpolitik.
Ritual des Alten und Mystischen Ordens der Saturnbrüderschaft "Ordo Mysticus Saturni" AMOS.·. OMS [one of the many secret inner orders within the F.S., founded in 1968, see Der O.T.O.-Phänomen RELOAD] [adoration of the sun].